Island — des tollwerks zweites Zuhause

Veröffentlicht als Meinung
von Nina Lassaueram

Der 20. März 2020 hatte das Zeug zum richtig guten Tag: Die 3. Konferenz unserer Material-Reihe in Rekyjavík stand an, und anschließend ein paar Tage Offsite-Workshop auf dem Land. Dann, nur wenige Stunden vor Beginn des Corona-Lockdowns, mussten wir die Veranstaltung schweren Herzens absagen. Wir konnten unsere Reise nur verschieben, nicht stornieren — und haben sie nichts ahnend auf Ende Juni gelegt. Hier sind wir nun. Zurück in Island.

Auf den Tag genau ein Jahr ist es her, dass wir aufbrachen zu unserem zweiten großen Island-Abenteuer. Ich bin froh, nebenbei ein bisschen geschrieben und geknipst zu haben, so bleiben die Erinnerungen frisch und man kann sich beim Weh um die Ferne ein kleines Gedanken-Pflaster basteln. Eine Kollage an Eindrücken der beiden Reisen folgt nun:

Ein Herr radelt oberkörperfrei und in pinkfarbener Unterwäsche durch die Nürnberger Südstadt
Mit diesem Foto begann die Reise …

Der Herr auf dem Rad winkt genau in Richtung Island, wir sind uns sicher!

Quelle: Nina Lassauer, , Alle Rechte vorbehalten

Ich sitze. Es wird lauter. Werde in den Sitz gepresst - und hebe ab. Wax Machine wird mittels eines Kabels von meinem Mobilgerät aus zu den sogenannten In-Ears übermittelt und direkt in meinen Gehörgang ausgegeben. Auf der Erde weit unter mir erkenne ich ein grün-braunes Tartanmuster. Später, Inseln aus Wolken auf blauem Hintergrund. Das isländische Plastikflaschen-Wasser schmeckt nach geschmolzenem Gletscher. Assoziiert zumindest die Gestaltung des Gefäßes.

Am Flughafen gelandet, ging es zu aller erst zum Corona-Test. Kleine Kabinchen waren mit je 2 Mitarbeitern, einem Computer, Code-Scanner, Stuhl und jeder Menge dieser langen Ohrstäbchen und Einweghandschuhen bestückt, die bei jedem Patienten gewechselt werden mussten. Die Ohrstäbchen wurden zweckentfremdet und sie schoben mir also erst eines so weit in den Rachen, dass ich es direkt an meinen Mandeln spürte und dann so tief in die Nase, dass ich dachte, es im Gehirn zu haben! Dabei erwischten sie wohl einen Nerv, dass mir die Tränen kamen und ich noch Minuten danach ein Kribbeln ganz weit oben in meiner Nase verspürte.

Nina kniet auf einem Felsen, um das Meer zu fotografieren
Nordatlantischer Ozean

Der Versuch, die größte Welle einzufangen

Quelle: Joschi Kuphal, , Alle Rechte vorbehalten

Es ist duster. Die Nebelschwaden erstrecken sich vom Boden bis in die Höh, man sieht kaum 10 Meter weit. Es ist, als ob man durch eine riesige Wolke fahren würde. Der Geruch von Schwefel liegt in der Luft. Die Straße führt geradewegs durch die höhenlose Landschaft. Der Wind peitscht von allen Seiten gegen den Wagen, er lässt sich nur schwer führen. Zu fünft aneinander gepfercht, jeder in seiner Wintertracht und nassen Hosen, versuchen wir zu erahnen, wo der See liegt, an dem das Haus steht. In der Ferne bewegen sich kleine Lichtpunkte. Die Schlaglöcher reihen sich aneinander. Der Dunst verzieht sich und ich erkenne rechts von mir tiefschwarze Bühle. Ein Wald kann es nicht sein, denn solche gibt es seit Ende der Wikingerzeit nicht mehr in Island. Wie hoch sie sind, lässt sich nur vermuten - die Kuppe verläuft sich im dunkelgrauen Himmel.

Es ist stürmisch. Der Wind bläst mit Kraft ums Haus. Es knackt und knarzt, die Fenster bewegen sich. Wir gewöhnen uns bis zum Einschlafen nicht daran.

Nina betrachtet einen riesigen Gletscher von der Ferne
Danke Gletscher …

… dass ich dich bewundern durfte, bevor du vielleicht irgendwann für immer verschwindest

Quelle: Joschi Kuphal, , Alle Rechte vorbehalten

Am nächsten Tag renne ich direkt vom Bett ins Wohnzimmer, mein Blick auf den See gerichtet. Es ist neblig. Am anderen Ufer lassen sich Hügel erkennen. Ich schiebe die Türe auf und traue mich hinaus, über die gelbliche Wiese, bis zum Wegesrand vor. Meine Füße stechen bereits nach wenigen Schritten vor Kälte. Ich überwinde mich nicht weiter zum Wasser vor.

Wir erkunden die Gegend. Der Wind hat ein wenig nachgelassen. Wir bekommen ihn von hinten zu spüren. Wir trampeln den Pfad entlang und ich finde rechts ab ein Loch in der Mooslandschaft. Ich male mir aus, wie darin ein geselliger Troll haust. Schön hat er es hier. Meine Kapuze ist weit ins Gesicht gezogen, der Fellkragen spielt im Sturm. Ich nehme meine Umgebung nicht mehr wahr, zu sehr brennt es in den Augen.

Heute habe ich einen Wald entdeckt. Ein Nadelwald, der einem Märchen nahekommt. Wunderschöne Baumrinde und klitzekleine Zapfen tummeln sich am Boden. Ich hebe etwas auf und erfreue mich daran, wie ein Kind im Süßigkeitenparadies.

Ich sitze in der Sauna - sie war noch nie so heiß. Als es mir genug ist, entdecke ich draußen verschwommene, leichte Lichter am Himmel. Ich meine zu glauben, dass sie sich bewegen. Sie werden schwächer und wieder stärker, färben sich von hellgrün zu leicht orange, spielen fangen mit sich selbst. Der zunehmende Mond scheint hell. Direkt über dem See schwebt eine große rundliche Wolke mit verlaufenen Kanten, die ich auch schon vor meinem Besuch in dem Schwitzfass wahrgenommen habe. Wir nennen sie Peter. Sie bewegte sich kein Stück.

Nun liege ich im Bett, das Fenster ist leicht gekippt. Der Wind jault laut und leise über meinem Kopf - ich schlafe ein.

Nina springt über einen reißenden Fluss
„Allt huml“ …

… [laut Google-Übersetzer Isländisch für „alleh hopp“] über den reißenden Fluss

Quelle: Joschi Kuphal, , Alle Rechte vorbehalten

Peter ist weg. Der Himmel ist nahezu wolkenlos.

Am Abend steige ich wieder in die Sauna. Wie zu erwarten, ist es höllisch heiß. Der Schweiß fließt aus allen Poren. Ich schlüpfe mit feuchten Füßen in meine Martens, mein Puls ist auf 150. Es hat unter 0 Grad, doch mir ist sommerlich zumute. Leicht benommen stapfe ich herunter zum See. Ich habe mir fest vorgenommen, darin baden zu gehen. Das Wasser ist eiskalt. Ich wage es. Schuhe aus, vorsichtig über die groben Steine ins Nasse. Mir ist schwindelig. Ich spüre meine Füße kaum noch, Millionen von Nadeln stechen in meine Waden. Ich lege den Bademantel ab, atme tief ein und tauche unter. Der Mond scheint hell, spiegelt sich im See. Der Tau glitzert auf dem Bootssteg. Der Weg ins Wasser war schwer, aber nun ist mir ganz warm.

Nina spielt auf den Straßen Reykjavíks Himmel und Hölle
Reykjavík

In der Stadt waren wir natürlich auch mal unterwegs

Quelle: Joschi Kuphal, , Alle Rechte vorbehalten

Heute gehe ich spazieren. Das Moosgefilde ist hell, bedeckt von Eiskristallen. Ein Rabe fliegt schimpfend über mich hinweg. Die Sonne steht tief am Horizont, schon bald wird sie untergehen. Ich gehe jede Halbinsel ab und habe endlich den Stein gefunden. Den Stein, auf dem ich 20 Minuten sitzen werde um zu meditieren und alles um mich herum aufzusaugen. So viel Nichts wie hier habe ich noch nicht gehört. Der Wind war still, der See war es auch.

Einige Schaf-Mamis und -Papis kreuzten mit ihren Kindern unsere Wege, auf der Suche nach dem grünsten Gras. Schwefelgeruch entflößt aus jeder Pore des Gesteins. Einige der aus dem Berg emporragenden Felsen scheinen, als ob sie jeden Moment herniederstürzen könnten.