Suffizienz bei digitalen Produkten
Das Konzept der „maßvollen Nutzung“ ist eines der zentralen Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie. Doch was bedeutet Suffizienz im Kontext digitaler Kommunikationsprodukte, wie wir sie täglich entwerfen und entwickeln? Ein Annäherungsversuch …
Im Zuge unseres ersten Gemeinwohl-Berichts müssen wir uns mit der Fragestellung befassen, inwieweit unsere Produkte und Dienstleistungen das Prinzip der Suffizienz unterstützen, also das Konzept der „maßvollen Nutzung“ und einer damit verbundenen absoluten Reduktion von ökologischen Belastungen. Ich finde das Thema alles andere als trivial, denn was bedeutet es eigentlich, eine Website oder ein digitales Dokument so zu gestalten, dass sich Nutzende zur verantwortungsvollen und ressourcenschonenden Verwendung aufgefordert fühlen?
Die Frage nach der Suffizienz in der digitalen Welt wirft weit mehr auf, als es zunächst den Anschein hat. Wenn wir über maßvolle Nutzung sprechen, denken wir normalerweise an Konsumgüter, Energieverbrauch oder den Umgang mit Ressourcen. Aber wie sieht es aus, wenn wir diesen Ansatz auf Websites, digitale Dokumente oder andere Kommunikationsprodukte anwenden?
Digitale Suffizienz
Der Artikel Digital sufficiency: conceptual considerations for ICTs on a finite planet aus dem Jahr 2022 führt das Konzept der digitalen Suffizienz ein. Eine Gruppe von Nachhaltigkeitsforschenden erörtert darin Strategien, um den Ressourcen- und Energiebedarf bei der Herstellung und Nutzung digitaler Geräte zu senken. Sie identifizieren vier relevante Dimensionen zur Einflussnahme: die Gestaltung von Hardware und Software, das individuelle Nutzungsverhalten sowie die ökonomischen Rahmenbedingungen.
Auf unsere Zunft bezogen geht es im Kern um die Frage: Wie viel Energie verbraucht eine Website oder ein digitales Produkt bei der Nutzung? Es ist verlockend, zu glauben, dass digitale Produkte von Natur aus effizienter sind als ihre physischen Gegenstücke. Tatsächlich können sie oft physische Alternativen vermeiden — und damit nicht nur Ressourcen, sondern auch Produktions- und Transportaufwand einsparen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Der Energieverbrauch digitaler Produkte wird maßgeblich von Faktoren wie Datenmengen, Rechenleistung und der Interaktionshäufigkeit bestimmt. Eine datenintensive, komplexe Webseite mit vielen dynamischen Inhalten verbraucht deutlich mehr Ressourcen als eine schlichte, statische Seite. Sollten wir also alle unsere Websites auf das Minimum an Funktionen und Inhalten beschränken? Vielleicht — aber auch nicht immer.
Die Balance finden
Die Effizienz digitaler Produkte hängt stark davon ab, wie sie genutzt werden. Ein Informationsportal, das nur gelegentlich besucht wird, stellt in puncto Ressourcenverbrauch ein geringeres Problem dar als etwa ein Video-Streaming-Dienst, der stundenlang läuft und die übertragenen Inhalte für alle Nutzenden individuell verschlüsselt. Gleiches gilt für Gaming-Plattformen oder Social-Media-Netzwerke, die uns ständige Aufmerksamkeit abverlangen und so unseren digitalen CO₂-Fußabdruck in die Höhe treiben. Hier könnte das Suffizienz-Prinzip eine Leitlinie sein, die uns daran erinnert, Maß zu halten.
Als Entwickelnde müssen wir uns fragen: Inwieweit können oder sollten wir den Gebrauch unserer digitalen Produkte steuern? Die Verantwortung über Inhalte und Nutzung liegt meist in den Händen unserer Kundschaft, und von irgendetwas müssen wir schließlich leben. Sollten wir Produkte ablehnen, die zur übermäßigen Nutzung verleiten oder unverantwortlichen Konsum fördern? Das führt uns direkt in ein ethisches Dilemma.
Ist weniger wirklich mehr?
In der Praxis fordert Suffizienz in jedem Fall von uns, dass wir Websites energieeffizient und nutzungsfreundlich gestalten. Dies lässt sich etwa durch minimierte Datenmengen, hohe Performance und klare, intuitiv bedienbare Benutzeroberflächen erreichen. Doch es bleibt die Frage: Was ist der genaue Einsatzzweck des Produkts? Ein Online-Shop, der den Kauf von umweltschädlichen Konsumgütern fördert, steht grundsätzlich im Widerspruch zur Suffizienz — unabhängig davon, wie effizient er technisch und gestalterisch umgesetzt ist. Andererseits ist ein optimiert umgesetzter Online-Shop immer noch besser als eine minderwertige Alternative — und mal ganz ehrlich: Wenn wir es nicht tun, dann finden sich ja doch immer andere …
Vermutlich sollten wir uns auch öfter fragen, ob es nicht digitale Produkte gibt, die gar nicht existieren müssten. Das beste Produkt ist schließlich immer noch das, das nicht gebraucht wird — eine gewagte Aussage, aber nicht ohne Substanz.
Ein konkretes Vorgehen
Wie also könnte eine suffiziente digitale Praxis aussehen? Ein möglicher Weg wäre, verstärkt auf ressourcenschonende Technologien und insbesondere nutzungsfreundliches, minimalistisches Design zu setzen. Die Klaviatur der Barrierefreiheit spielt uns dabei elegant in die Karten, zielt sie doch in voller Breite auf die Verbesserung der Zugänglichkeit und einfachen Nutzbarkeit ab. Bei der Umsetzung könnten wir uns auf das Nötigste konzentrieren und so die Nutzungsdauer und -häufigkeit reduzieren. Gleichzeitig gilt es, Frustrationen bei der Bedienung zu minimieren, so dass Nutzende nicht mehr Zeit als nötig mit unseren Produkten verbringen, nicht zu insuffizienten Alternativen wechseln und einfach mehr von ihrem Leben haben.
Daneben könnte es sinnvoll sein, klare Regeln für die Annahme von Projekten aufzustellen: Nehmen wir nur solche Projekte an, die den Suffizienz-Gedanken widerspiegeln oder zumindest nicht grob verletzen? Das ist eine Entscheidung, die wir alle für uns selbst treffen müssen.
Fazit
Das Prinzip der Suffizienz auf digitale Produkte anzuwenden, ist komplex. Es geht nicht nur darum, Energie zu sparen oder Datenmengen zu reduzieren, sondern auch um die Frage, ob ein digitales Produkt überhaupt notwendig ist. Schlussendlich müssen wir als Entwickelnde stets abwägen, welche Lösungen wirklich im Sinne der Ressourcenschonung sind und welche am Ende nur dem Konsum dienen. Suffizienz bedeutet auch, Verantwortung für das zu übernehmen, was wir erschaffen — und was wir nicht erschaffen.