Smarte Technik ist das neue Plastik

Praktisch, verführerisch, zerstörerisch

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von Joschi Kuphalam

Die SustaiNable Conference hat sich in den letzten Jahren zu einer festen Größe nicht nur in der Metropolregion entwickelt — auch überregional zieht die mehrtägige Veranstaltung viele Teilnehmende nach Nürnberg, die sich zu Themen rund um Nachhaltigkeit austauschen und weiterbilden möchten. Zum zweiten Mal in Folge durften wir uns auch 2025 wieder aktiv in das Konferenzprogramm einbringen, diesmal sogar mit zwei Beiträgen:

  • Gleich zum Auftakt der Business-Konferenz eröffnete Joschi zusammen mit zwei weiteren, spannenden Gästen im Format eines Thesen-Battles den Diskurs für den Tag. Dazu unten mehr.
  • Nach der Mittagspause hatten wir mit unserem GWÖ-Berater Thomas Mönius und unserer Nürnberger GWÖ-Peergruppe die Möglichkeit, von unserer ersten Gemeinwohl-Bilanzierung zu berichten.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Doro Brommer für die wiederholte Einladung, die Einbindung und das Vertrauen, und beim ganzen ehrenamtlichen Konferenzteam, das diese tolle Veranstaltung jedes Jahr möglich macht! Wir freuen uns schon jetzt auf die SustaiNable Conference 2026.

Johannes Bisping, Dorothee Brommer und Tom Ritschel bei der Eröffnung der SustaiNable Conference 2025 in den Räumen der IHK Nürnberg. Doro Brommer spricht in ein Mikrofon, im Hintergrund werden die Logos der Sponsoren projiziert.
Nachhaltigkeit im Fokus

Als erlebbare Mitmach-Konferenz setzt die SustaiNable Conference seit 2019 Impulse für Nachhaltigkeit, lokale Initiativen und den „Markt der 17 Ziele“ in der Metropolregion Nürnberg.

Quelle: tollwerk GmbH, , Alle Rechte vorbehalten

Thesen-Battle

So lief das Thesen-Battle ab — ein auf Interaktion und Diskussion angelegtes Session-Format, ersonnen und moderiert von Tom Ritschel:

  1. Nacheinander gehört die Bühne mehreren Referierenden, die jeweils eine bewusst zugespitzt formulierte These im Gepäck haben. Für jeden Beitrag stehen insgesamt 20 Minuten zur Verfügung.
  2. Jede These wird dem Publikum zunächst zusammen mit einer kurzen Erläuterung dargestellt, woraufhin das Publikum gebeten wird, sich per anonymer Online-Abstimmung auf eine befürwortende oder ablehnende Position zu stellen. Das Abstimmungsergebnis wird live eingeblendet, sodass ein grundlegendes Stimmungsbild sichtbar wird.
  3. Die referierende Person hat dann 7–8 Minuten Zeit, ihre Position zur These auszuführen, dazu Stellung zu nehmen und die Relevanz in ihrem persönlichen Kontext darzulegen.
  4. Anschließend werden zunächst die anderen Battle-Protagonist*innen, dann das Publikum um kurze Stellungnahmen gebeten.
  5. Abschließend wird die Online-Abstimmung noch einmal wiederholt, um zu erkennen, ob sich nennenswerte Gruppen im Verlauf des Beitrags umentschieden haben.

Zusammen mit David Baumann und Yvonne Wetsch gelang es Joschi, mit drei Thesen aus unterschiedlichen Bereichen die Konferenz-Teilnehmenden gründlich aufzuwecken und ein paar Impulse für den Tag zu setzen, die durch die Veranstaltung begleiten sollten. Es lässt sich festhalten: Das Format hat gut funktioniert und aktivierte die Teilnehmenden spürbar. Alle drei Thesen fanden sowohl Proponenten als auch Kontrahenten, und die Perspektiven waren durchaus divers. Dass es zwischen anfänglicher und abschließender Abstimmung immer nur wenige Umentscheidungen gab, war mutmaßlich der Tatsache geschuldet, dass die SustaiNable Conference selbst bereits ein starker Publikumsfilter ist und insbesondere Interessierte anlockt, die ohnehin ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Meinungsspektrum besitzen.

Ausgangspunkt

Joschis These samt ausführlicher Erläuterung las sich wie folgt:

Praktisch, verführerisch, zerstörerisch: Smarte Technik ist das neue Plastik

Digitale Technologien können Prozesse vereinfachen, Teilhabe ermöglichen und helfen, physische Ressourcen einzusparen. Doch nicht selten hat der Nutzen seinen Preis: Produkte, die unsere Aufmerksamkeit fesseln, übermäßigen Konsum befeuern, exzessiv Daten sammeln und Energie verschwenden — unsere Abhängigkeit steht im Zentrum von Geschäftsmodellen, die gesellschaftliche und ökologische Schäden billigend in Kauf nehmen. Wer Nachhaltigkeit ernst meint, muss als erstes fragen: „Brauchen wir dieses digitale Produkt wirklich?“ Und wenn ja: „Wie gestalten wir es so ressourcenschonend, nützlich und wenig vereinnahmend wie möglich?“

Im Folgenden wird eine annähernd wortgetreue Abschrift der Thesen-Entwicklung wiedergegeben, wie sie von Joschi dem Publikum vorgetragen wurde.

Oberkörperportrait von David Baumann, Yvonne Wetsch und Joschi Kuphal, während sie Fragen aus dem Publikum hören.
Aktivierende Thesen

Im Thesen-Battle treffen pointierte Thesen auf spontane Diskussionen und Live-Abstimmungen — ein Format, das für Dynamik sorgt und das Publikum aktiv einbindet.

Quelle: www.flickr.com, Thomas Kohl / da kapo Communication Experts GmbH, , Alle Rechte vorbehalten

Thesen-Entwicklung

Bevor ich in meine These einsteige, eine kurze Frage: Wer hat bei „smarte Technik“ gleich an KI gedacht? […] Sehr schön — dann muss ich da gar keine Brücke mehr schlagen. Ich klammere KI nämlich bewusst aus und wollte das anderen überlassen. Danke, Yvonne! 😉 Vielmehr möchte ich über aktuelle Technologien und digitale Produkte im Allgemeinen sprechen (und KI gehört natürlich dazu).

Für alle, die mich noch nicht kennen: Ich bin Joschi, habe vor 25 Jahren in Nürnberg die Agentur Tollwerk gegründet. Wir gestalten und entwickeln digitale Kommunikationslösungen, vor allem Websites. Und wir haben seit fast 15 Jahren einen besonderen Fokus: digitale Barrierefreiheit. Wer dazu mehr erfahren möchte: Gleich im Anschluss gibt's eine Session mit unserer Freundin Caro Di Bella zum Thema, die ich sehr empfehlen will.

Wir haben uns außerdem vor 3 Jahren entschieden, uns der Gemeinwohl-Ökonomie anzuschließen, und letztes Jahr unsere erste Gemeinwohl-Bilanz veröffentlicht. Auch dazu gibt es später eine Session, zu der ich euch einladen möchte: Direkt nach der Mittagspause werde ich mit meinen Peergruppen-Kolleg*innen unten vor der Wirtschaft von unserer GWÖ-Reise berichten.

Eine der für mich spannendsten Fragen im GWÖ-Prozess war: Inwieweit unterstützen unsere digitalen Produkte das Prinzip der Suffizienz? Also mit anderen Worten: Regen unsere Websites eine maßvolle Nutzung an, oder befeuern sie nur den Ressourcenverbrauch? Was ist überhaupt maßvolle Nutzung bei digitalen Produkten?

Damit wir ein gemeinsames Bild haben: Unter digitalen Produkten verstehe ich zum Beispiel

  • Websites und Webanwendungen, Mobile Apps und Software im Allgemeinen
  • Digitale Dienste wie Cloud-Speicher, Streaming-Plattformen, Suchmaschinen
  • KI-gestützte Tools
  • Digitale Medieninhalte und Werbemittel
  • E-Commerce-Angebote
  • Digitale Events wie Online-Meetings und Livestreams

Schauen wir auf die Ressourcen, die solche digitalen Produkte verbrauchen:

  • Natürlich zunächst mal Strom** – für Rechenzentren, Server, Geräte.
  • Dann Wasserverbrauch, und zwar nicht zu knapp, z. B. beim Kühlen von Serveranlagen oder der Herstellung von Hardware.
  • Außerdem Rohstoffe wie Metalle, Seltene Erden, Kunststoffe, fossile Brennstoffe für die Herstellung von Hardware und Infrastruktur
  • Und natürlich müssen wir die Geräte auch ständig ersetzen, weil sie technisch überholt sind und das nächste Modell „noch smarter“ ist.

In der Nachhaltigkeitsforschung wird digitale Suffizienz mit vier Dimensionen assoziiert:

  • Hardware: also Herstellung, Lebensdauer und Reparierbarkeit von Geräten
  • Software: Wie effizient ist sie? Braucht sie unnötig viele Ressourcen?
  • Nutzungsverhalten: Wie oft, wie lange, wie intensiv nutzen wir digitale Angebote?
  • Rahmenbedingungen: Also Geschäftsmodelle und politische Vorgaben, die Nutzung anregen oder begrenzen

Wenn wir über die Belastung durch digitale Technik sprechen, müssen wir mindestens diese vier Ebenen mitdenken. Aber digitale Produkte verbrauchen noch etwas viel Wertvolleres: unsere Aufmerksamkeit. Sie strukturieren unseren Alltag um, beschleunigen Prozesse – und führen oft dazu, dass wir am Ende mehr tun, anstatt weniger.

Lasst uns kurz darüber nachdenken, was das ideale digitale Produkt sein könnte. Ich behaupte einfach mal: Das ideale digitale Produkt ist das, das es gar nicht gibt. Denn wenn wir mal ehrlich sind: Oft ist die beste Antwort auf die Frage: „Brauchen wir das wirklich?“ schlichtweg: Nein. Wir sind umgeben von Digitalschrott – Produkte, die niemand braucht, die Ressourcen fressen, die uns ablenken. Und zwar nur, weil sie möglich sind. Oder irgendwer davon profitiert.

Selbst wenn ein digitales Produkt wirklich sinnvoll ist, bleibt die Frage: Wie gestalten wir es so, dass es möglichst wenig Energie, Aufmerksamkeit und Lebenszeit verbraucht? Die Traum-Website wäre eine, die ich nur einmal im Leben besuche, die ich sofort verstehe, die mich nicht manipuliert, die barrierefrei ist und mich unmittelbar zur Lösung meines Problems führt. Wenig Klicks, wenig Frust, viel Orientierung. Rein und wieder raus.

Joschi Kuphal beim Vortrag seiner These. In der linken Hand hält er ein Mikrofon, mit der rechten Hand hält er sein Smartphone in die Luft. Sein Blick ist nach unten gerichtet.
Externalisierte Kosten

Digitale Anwendungen benötigen nicht nur Ressourcen für den Betrieb, sondern belasten die Umweltkonten auch in vielfältig anderer Weise, etwa durch den Bedarf an Hardware für die Herstellung und Nutzung.

Quelle: www.flickr.com, Thomas Kohl / da kapo Communication Experts GmbH, , Alle Rechte vorbehalten

Und jetzt halten wir mal die Anwendungen dagegen, die uns alle ständig umgeben: Social Media, E-Commerce, Apps zur Selbstoptimierung … alle wollen unsere Aufmerksamkeit, alle bauen Druck auf, fördern Konsum, belohnen Rückkehr und feiern Dauernutzung. Sie wirken effizient – und machen uns abhängig, und genau darauf bauen die Geschäftsmodelle dahinter auf.

Natürlich gibt es auch Beispiele, in denen digitale Produkte gut oder zumindest das „geringere Übel“ sind, zum Beispiel, weil sie physische Alternativen ersetzen. Wenn ich zum Beispiel online bestellen kann, statt ins Auto steigen zu müssen. Aber: Wenn ich dadurch fünfmal so viel bestelle, dann ist das keine Verbesserung. Die wichtige Erkenntnis ist: Digitale Produkte nicht nachhaltig, nur weil sie digital sind.

Wir alle sind Teil dieser Matrix. Als Konsument*in beispielsweise geht Kochen geht neuerdings nur noch mit KI-Rezept, habe ich mir sagen lassen, zum Runterkommen muss ich irgendetwas streamen, und zum Gesundfühlen muss ich Schritte zählen. Als Wirtschaftsakteur habe ich Sorge, dass ich den Anschluss verliere, und entwickle pausenlos Neues – damit ich wieder schneller, attraktiver und noch „smarter“ bin. Aber die Effizienzgewinne, die wir durch Digitalisierung erzielen, führen oft dazu, dass ich nur noch mehr Output produziere, statt irgendeine Belastung zu reduzieren. Meine Tochter würde sagen: „Merkste selber, ne?“

Was tun? Ich denke, der erste schmerzhafte Schritt muss sein, dass wir uns bewusst und sichtbar machen, welche Kosten und Belastungen mit digitalen Produkten wirklich verbunden sind, und zwar alle externalisierten Kosten eingerechnet. Vom Ressourcenverbrauch über den verursachten Überkonsum, die soziale Erosion – also den Verlust von echten Begegnungen und solidarischem Miteinander – bis hin zu Gesundheitsschäden.

Versteht mich nicht falsch: Ich bin nicht gegen digitale Technik. Ganz im Gegenteil – wir spielen dieses Game seit 25 Jahren. Aber ich denke, dass wir hier, wie in anderen Lebensbereichen, lernen müssen, Maß zu halten und uns fragen: „Was ist genug? Was dient dem Menschen und dem Planeten – und was verführt uns bloß?“

Deshalb meine ich, smarte Technik ist wie Plastik: praktisch, aufregend – aber eben auch gefährlich, wenn wir sie gedankenlos einsetzen. Wir dürfen sie nicht automatisch als Fortschritt begreifen, sondern als Werkzeug, das wir klug und maßvoll einsetzen müssen. Damit sie nicht uns formt, sondern wir sie.

Danke, und jetzt freue ich mich auf euer Feedback.