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Vom Fall und dem Wiederaufrappeln unserer demokratischen Struktur. Oder: Eine nicht ganz feierliche Abrechnung mit einem Jahr, das auch gerne hätte anders laufen können.
2025. Was für ein Jahr. Es war unser fünfundzwanzigstes. Und viel hat nicht gefehlt, dass es auch unser letztes in dieser Form geworden wäre. Ihm selbst weine ich keine Träne nach. Ich hoffe einfach nur, dass die Verluste, die wir einstecken mussten, schnell wieder heilen.
Dies wird kein Partybericht, in dem wir ungehemmt unsere Erfolge feiern. Stattdessen öffne ich einmal kurz die Tür zum Maschinenraum: für einen ungeschönten Blick auf die ächzenden, heißgelaufenen und qualmenden Motoren, die uns — teils gequält — durchs Jahr getrieben haben. Einmal kurz Dampf ablassen, und dann weiter — denn weitergehen wird es.
Noch eine Randbemerkung vorweg: Auch jenseits unserer Organisation hat mich dieses Jahr reichlich mit Herausforderungen versorgt — persönliche, familiäre, gesundheitliche, globale und andere. Soweit mir das überhaupt möglich ist, versuche ich, diese Ereignisse vom folgenden, sehr persönlichen Blick in den Rückspiegel auf die Entwicklungen im Tollwerk zu trennen. Nicht, weil sie unwesentlich wären, sondern weil mir dies hier nicht der geeignete Ort dafür scheint.
Ich schreibe diesen Beitrag für alle, die sich aus welchem Grund auch immer dafür interessieren, „wie es bei uns läuft“. Für alle, die sich womöglich fragen, warum es in den letzten Monaten vergleichsweise ruhig war auf unseren öffentlichen Kanälen. Für alle, bei denen ebenfalls nicht eine Siegerurkunde die nächste jagt. Und ich schreibe dieses Stück für mich selbst, um ein paar Dinge noch im alten Jahr abladen zu können, damit ich leichter, unbeschwerter in ein neues, besseres starten kann.
Eine sehr kurze Anamnese
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Wir sind als elfköpfiges Team ins Jahr gestartet — und werden es nun zu acht beenden. Vier teils langjährige Teammitglieder hat ihr Pfad weg vom Tollwerk geführt, und nur eine Person hat neu zu uns gefunden.
Angebahnt hat sich diese Entwicklung bereits seit zweieinhalb Jahren: Seitdem erreichten uns immer weniger Anfragen und Aufträge für Web-Entwicklungsprojekte, während die Nachfrage nach umfangreichen Beratungs-, Begleitungs-, Prüf- und Trainingsprojekten stark angestiegen ist. Ein Zusammenhang mit dem damals anrollenden Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das nun seit Juni 2025 in Kraft ist, liegt nahe.
Als Team, das zahlenmäßig vor allem in der Umsetzung zu Hause ist, hat uns diese Verschiebung in eine ernste und langanhaltende Auslastungsschieflage gebracht. Einen ersten Vorgeschmack darauf, wie dramatisch die Situation werden sollte, bekamen wir, als wir vor zwei Jahren unsere Designerin nicht länger mit Aufträgen versorgen konnten. Aus persönlichen Gründen war sie bereits zuvor in eine Freelancer-Konstellation gewechselt — und mit ihr brach ein Großteil unserer Designkapazität weg: Know-how, das gerade im Kontext der Barrierefreiheit von besonderem Wert ist.
Von da an war es nur noch eine Frage von Monaten, bis die Krise auch unsere Entwickelnden erreichte.
Den wenigen unter uns, die der veränderten Nachfragesituation mit ausreichender Erfahrung, Flexibilität und passendem Naturell begegnen konnten, fiel zunehmend mehr Last und Verantwortung zu. Gleichzeitig hatte die Mehrzahl im Team Mühe, konstant einträgliche Beschäftigung zu finden und zu halten. Die Herausforderung im Blick, starteten wir verschiedene Maßnahmen, um den Lastwechsel mitgehen zu können: Auf der einen Seite suchten wir nach fachkundiger Verstärkung von außen, während wir gleichzeitig Formate etablierten, die eine gegenseitige Aus- und Weiterbildung im Inneren ermöglichen und beschleunigen sollten. Unsere Bemühungen waren nicht völlig vergeblich — langfristig jedoch nicht ausreichend.
Dauerkrise
Unsere Situation seit Anfang 2024 lässt sich treffend als stille, sich langsam steigernde Dauerkrise beschreiben. Trotz intensiver Bemühungen kamen neue Umsetzungsprojekte nicht oder nur schleppend zustande — jedenfalls nicht in dem Maß, das wir für ein nachhaltiges Wirtschaften benötigen. Ausschreibungen, in die wir viel Mühe und Hoffnung gesetzt hatten, wurden gegen uns entschieden. Andere Projekte liefen unrund und rutschten ins Unwirtschaftliche. Während das Auditieren bestehender Anwendungen, die begleitende Beratung sowie die Ertüchtigung anderer Teams und Organisationen Hochkonjunktur hatten, blieb die Entwicklung neuer Websites im eigenen Haus über längere Strecken deutlich unter der notwendigen Ertragsschwelle.
Als kleine, kollegial organisierte Agentur fehlen uns die Erfahrungstiefe und zugleich wirksame zentrale Mechanismen, um schnell und routiniert auf solche Verschiebungen reagieren zu können. Unsere hemdsärmeligen Versuche waren dem nicht gewachsen. Weder unsere internen Weiterbildungs- und Umschulungsbemühungen noch das Hinzuholen zusätzlicher Kapazitäten von außen entfalteten schnell genug Wirkung, um uns aus dem Problemstrudel zu ziehen. Der notwendige Lastwechsel hin zu den veränderten Marktanforderungen ist uns damit nur unzureichend gelungen. Immerhin: Wir haben es versucht, aber unsere Mittel waren begrenzt — und entsprechend begrenzt wirksam. In dieser Phase fehlten uns Energie und Spielräume für grundsätzliche Verbesserungen; unser Blick verengte sich auf das bloße Funktionieren.

Wertschöpfung ist das, wozu wir uns verabredet haben. Aber Menschen bringen mehr mit als ihre Arbeitskraft. Damit umzugehen, ist manchmal die größte Aufgabe von allen.
Die Krise trat dabei immer häufiger und in unterschiedlichen Formen zutage. Mehrere, teils länger anhaltende wirtschaftliche Engpässe verlangten allen im Team Geduld und Entgegenkommen ab. Für diejenigen unter uns, denen Sicherheit und Stabilität besonders wichtig sind, wurde die Situation zunehmend belastend. Der zuvor gelebte Elan, gemeinsam aktiv an unserer Organisation zu arbeiten, wich mehr und mehr einem resignierten Schuften in der Organisation, damit es irgendwie weitergeht. Unmut entstand. Offenkundige Fehlstellungen wurden erkannt, aber nicht entschlossen genug angegangen — oder wir scheiterten daran. Eigentlich Selbstverständliches wurde unaussprechbar oder zumindest so anstrengend, dass es nahelag, ihm auszuweichen.
Wo es keine klar zugewiesene Rolle gibt, die unbequeme Wahrheiten ausspricht und den entstehenden Unmut auffängt, bleibt diese Verantwortung bei den Einzelnen. Wer Probleme benennt oder problematisches Verhalten offen anspricht, geht dabei stets das persönliche Risiko ein, als illoyal wahrgenommen zu werden. In der Folge werden notwendige Klärungen vertagt, Konflikte umgangen und Spannungen eher indirekt ausgetragen. Frust entlädt sich dann nicht selten in unnötig scheinenden Nebenkonflikten. Wer schon einmal in einer Organisation gearbeitet hat, die unter Druck gerät, wird einiges davon wiedererkennen. Auch bei uns zeigten sich Nebenwirkungen: Die Stimmung wurde angespannter, die Kommunikation schlechter, der Krankenstand stieg spürbar.
In diesem Klima schwand das allgemeine Vertrauen; erstmals bildeten sich Cliquen. Vor der Kulisse gravierend veränderter Marktanforderungen haben wir Fehler gemacht — oder sie zumindest kollektiv zugelassen. Rückblickend waren es weniger einzelne Personen als eine Verkettung systemischer Effekte, darunter unzureichendes Projektmanagement, personeller Fehleinsatz, vereinzelte Überforderung ohne rechtzeitiges Eingeständnis, festgefahrene Positionen, konkurrierende Prioritäten, anhaltende Verbindlichkeitslücken und zu lange ignorierte Missstände — sowie eine unzureichende Übernahme von Verantwortung für sich selbst und das übrige Team. Nicht immer. Nicht in allen Situationen. Und nicht durch alle im Team gleichermaßen. In Summe jedoch in einer problematischen Dosis.
Kernschmelze
Mich persönlich hat die Entwicklung an meine Grenzen gebracht — und darüber hinaus. Keine geeignete Beschäftigung zu haben, war zu keinem Zeitpunkt mein Problem. Stattdessen lief ich durchgehend unter Volllast — bei einem Arbeitspensum, das ich hier nicht detaillieren möchte. Ich arbeite gern und gern viel, und ich teile gerne den Ertrag. So war es nicht Überlastung im herkömmlichen Sinn, die mich im März zusammenbrechen ließ. Sondern es war das erdrückende Übermaß an Verantwortung, das auf meinen Schultern lag, kombiniert mit monatelanger Stagnation und dem Ausbleiben von Initiativen, die über das Tagesgeschäft hinausgingen. Am Ende war es eine ganz kleine, beiläufige und an sich unschuldige Bemerkung, die mein persönliches Fass zum Überlaufen brachte. Eine persönliche Anspruchshaltung, individuell vielleicht nachvollziehbar, aber ohne Gespür für den Ernst der Lage — und dafür, dass eine Organisation, die auf gegenseitige Fürsorge setzt, nicht bestehen kann, wenn alle zuerst die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen.

Höflich, aber unmissverständlich: Hier nicht weiter. Nicht so. Manchmal braucht es ein solches Zeichen, um innezuhalten — und die Richtung zu ändern.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie das Bedürfnis, die unschwer erkennbare Unwucht in unserer Last- und Verantwortungsverteilung zu bemängeln. Schließlich war es ein selbstgewählter, mindestens eigenverantwortlich geduldeter Zustand. Im Gegenteil: Ich mied das Thema, denn es führte regelmäßig zu der Vorhaltung, ich sei damit kein gutes Vorbild — was vielleicht sogar Wahres hat, aber im selben Maß übergriffig ist, wie es Übergriff verhindern soll. Im selben Zug wurde das Ungleichgewicht als naturgegeben hingenommen und nicht infrage gestellt.
Unter externer Moderation brach ich im März dann erstmals dieses Schweigen und brachte zum Ausdruck, dass ich nicht länger bereit und imstande wäre, weiterhin dieselbe Verantwortung für unseren Fortbestand zu übernehmen, wenn nicht alle intensivst mit anpacken und einen Teil der Last abnehmen würden. Als Organisation ohne autokratische Befehlsketten, harte Leistungsmetriken und konsequente Folgen sind wir angewiesen auf freiwillige Verantwortungsübernahme, Verbindlichkeit und gegenseitige Fürsorge. Wir hatten eine Form gewählt, die alle in die Pflicht nahm.
Die Demokratie ist tot
Meine persönliche Kernschmelze schlug ein wie ein Blitz. Es machte sich überwiegend Betroffenheit breit, und die meisten konnten dem ersten Impuls zu Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen widerstehen. Für ein paar Tage gab es Aufbruchstimmung, und wir suchten gemeinsam nach Maßnahmen, die uns aus dem Tal führen könnten: verbesserte Abläufe, Kosteneinsparungen, Flexibilität bei einzelnen Personen, Verzicht und der Wille, auch unangenehme Themen anzupacken. Allerdings brachten sich nicht alle gleichermaßen ein, und nicht jeder Vorschlag war zu Ende gedacht. Eine tragische Dynamik entstand: Um Kosten zu sparen, boten einzelne an, ihre Stunden zu reduzieren — ohne zu berücksichtigen, dass weniger Stunden gerade bei denen, die Umsatz erwirtschafteten oder flexibel in anderen Bereichen einsetzbar gewesen wären, die Schieflage eher verschärfen als lindern würden. Wieder andere Vorschläge waren gut gemeint, setzten jedoch am falschen Ende an oder sprangen ganz offenkundig zu kurz.
Was über die folgenden Wochen dann einsetzte, war: Stille. Unsere Arbeitskreise, die sich um innerbetriebliche Prozesse kümmern sollten, stellten ihre Arbeit stillschweigend ein. Lange geplante Vorhaben, etwa laufende interne Weiterbildungen oder ein überfälliges Quantum-Turnier fürs ganze Team, fielen fast geräuschlos vom Tisch. Kaum eine der vorgeschlagenen Maßnahmen wurde zu Ende gedacht, nur ein oder zwei Stundenreduktionen umgesetzt. Stures, in sich gekehrtes Weiterarbeiten an den laufenden Projekten wurde zur einvernehmlichen Übersprungshandlung. Der Antrieb, einen Ausweg aus der Krise zu finden, kam zum Erliegen und schlug bei einigen in totale Resignation um.
An einem Montag im April kam das seinerzeit amtierende, gewählte Mitglied der Geschäftsleitung mit einer Botschaft des Teams auf mich zu. Vorausgegangen war ein wöchentliches Teamtreffen, an dem ich ausnahmsweise nicht teilnehmen konnte und das so bitterlich eskaliert sein muss, dass es am Ende in Wortlosigkeit auseinanderging. Man sei sich teilweise heftig angegangen, einzelne Personen hätten unsere kollegiale Verantwortungsteilung grundsätzlich infrage gestellt (und schon immer für dysfunktional gehalten), und man würde mich als auf dem Papier Verantwortlichen auffordern, nun wirksame Entscheidungen herbeizuführen.
Da lag sie also, die Unternehmensdemokratie. Schwer beschädigt nach drei Jahren. Für kaputt befunden, aufgebahrt und zurückgegeben mit Austauschwunsch.
Ein Fuß vor den anderen
Der Kollaps kam nicht völlig überraschend. Schon in den Wochen zuvor hatte ich die Starre wahrgenommen und geahnt, dass es irgendwann mir zufallen könnte, entgegen unserer inzwischen gewachsenen Strukturen wenigstens vorübergehend das Steuer zu übernehmen. Die Ahnung machte es allerdings kein bisschen leichter.
Das Scheitern unserer mühsam aufgebauten Strukturen, sobald Last aufs System kommt, sobald nicht alles rund läuft, war nicht nur eine Enttäuschung für alle im Team, sondern auch ein höchst schmerzhafter Tiefschlag für mich persönlich. Hatte ich doch unsere Neuaufstellung vor 5 Jahren aus einem Zustand großer, persönlicher Ermüdung heraus angestoßen mit dem Ziel, eben nicht länger derjenige zu sein, der Entscheidungen am Ende alleine fällt. Ich wollte Macht loswerden — aber nicht, damit sie irgendwann wie ein Boomerang zurückkehrt.
Die folgenden Wochen waren für mich ohne Zweifel die härtesten in unserer Geschichte. Eine Situation wie diese kannte ich nicht, geschweige denn, dass ich ihr gewachsen gewesen wäre. Allein um Druck aus dem Kessel zu nehmen und uns schnellstmöglich zur Handlungsfähigkeit zurückzuführen, sah ich mich gezwungen, erstmals in meinem Leben Kündigungen auszusprechen. Wie sehr ich diesen Schritt hasste. Dass ich in dieser Phase das meiste nur mit mir selbst ausmachte, rächte sich: Ich versäumte es, meine Beweggründe im Team zu erläutern, was zu neuer Verunsicherung führte. Auch wenn ich den Schritt für unausweichlich hielt — ich hätte ihn anders begleiten müssen.
Im höchsten Maß verunsichert war auch ich selbst. Für den 28. Juni war von langer Hand unsere 25-Jahre-Jubiläumsfeier angesetzt, und besonders mir war es emotional sehr wichtig, diesen Meilenstein zu würdigen — immerhin habe ich annähernd mein halbes Leben mit und in dieser Organisation verbracht. Dass die Kulisse für ein Fest in diesem Augenblick denkbar ungünstig geworden war, dürfte sich von selbst verstehen. Was ich zu dieser Zeit überhaupt nicht wusste, war, ob und wie es danach weitergehen würde. Zumindest im engeren Kreis gestand ich, dass ich buchstäblich alles für möglich hielt: Vom radikalen „Ich gehe!" über einen Neustart mit Minimalbesetzung bis hin zu Weitermachen und so tun, als wäre nichts gewesen — alles war denkbar.
Es lebe die Demokratie
Es stellten sich mir viele Fragen, zu denen ich Klarheit bräuchte, wenn ich der Aufforderung nachkommen und brauchbare Lösungswege entwickeln wollte. Wo standen wir gerade? War die Demokratie komplett gescheitert, oder waren nur Teile dysfunktional? Was hat gefehlt, und war es reparabel? Wer war überhaupt an einer Reparatur interessiert? Welche Erwartungen standen im Raum, und wer war zu welchem Beitrag bereit? Welche Art von Neustart war nötig, oder überhaupt möglich? Könnte er die Schieflage richten, die Ursache für alles war?

Manchmal zeigt sich der Weg erst beim Gehen. Ein Schritt nach dem anderen.
Ohne klare Vorstellung von Ablauf und Inhalt setzte ich ein Plenum für Mitte Juli an, das über die Zukunft unserer Organisation entscheiden sollte. Ich plante, die vielen Fragen, die ich gesammelt hatte, wie Trittsteine in einem Fluss zu nutzen: Wir würden nicht alle nehmen können, aber mit etwas Geschick und den richtigen Entscheidungen unterwegs könnten wir vielleicht einen Weg an neue Ufer finden.
Aus dem einen Trittstein-Meeting wurden zwei, und sie gingen ins Mark. Ich bat vorab um kritische Selbstreflexion, um den Verzicht auf Schuldzuweisungen, um Respekt voreinander, aber auch um Klartext in der Sache. Wir wählten stets nur eine Frage als nächste Station, dann sahen wir weiter:
- Wo stehen wir gerade?
- Wo erwartest du mehr Führung, wo weniger?
- Was hat funktioniert, was nicht, und was ist ambivalent?
- Wie machen wir Leistung verbindlich und messbar?
- Welche persönlichen und gemeinsamen Motive sind dir wichtig?
- Wie viel Führung kannst du übernehmen?
- Wer trägt Verantwortung, wofür und wie?
Wir beantworteten jede dieser Fragen zunächst für uns selbst, in Stillarbeit, dann trugen wir unsere Ergebnisse zusammen und gingen in die Diskussion. Die Erwartung, dass auch nur eine davon abschließend geklärt werden könne, wäre sicherlich vermessen. Doch bei aller Kritik zeigte sich ebenso deutlich: Nicht alles war schlecht, nicht alles aussichtslos. Wir müssten vieles neu denken, aber zumindest könnten wir auf Bestehendem aufbauen und es gäbe grundsätzlich die Motivation, diesen langen Weg zu gehen. Ganz am Ende angelangt war die Demokratie also offenbar doch noch nicht — zum Glück!

Erst denken, dann teilen: Die Stillarbeit vor der Diskussion gab allen Perspektiven Raum — ohne dass sich die Lautesten durchsetzten.
Nach einer dringend nötigen Atempause treffen wir uns nun seit Anfang September mindestens alle zwei Wochen in einem fünfköpfigen Sonderteam, das sich der notwendigen Reformen widmet und strukturelle Änderungen plant und diskutiert. Der Vorgang ist noch nicht abgeschlossen, daher werde ich an dieser Stelle nicht in die Details gehen. Aber immerhin war das Feedback auf eine Zwischenpräsentation unserer Bemühungen im Plenum Anfang Dezember durchweg positiv.
Blick zurück und Blick nach vorn
Die Furt, die wir in diesem Jahr zu durchqueren hatten, war heftig. Sie war unübersichtlich, gefährlich, anstrengend und hat einiges an Opfer gefordert — energetisch, menschlich und emotional. Während ich mich einerseits an kein Jahr erinnere, das vergleichbar schnell an mir vorbeigerast ist, bin ich gleichzeitig dankbar, dass der tiefste Punkt hinter uns zu liegen scheint. War das alles notwendig? Womöglich. Hätte ich es mir anders gewünscht? Unbedingt.
Ich habe diesen Bericht ganz bewusst auf einen bestimmten Ereignisstrang fokussiert und damit viele andere, deutlich positivere Geschehnisse außen vor gelassen. Dazu gehören auch die Bemühungen einzelner im Team, die sich eingebracht, mitgedacht und an Lösungen gearbeitet haben — manchmal sichtbar, manchmal im Stillen. Dass ich sie hier nicht einzeln hervorhebe, schmälert weder ihren Wert noch meine Dankbarkeit dafür. Es war mir wichtig, auch die unschönen Seiten dessen zu zeigen, was ansonsten zu lieblich, zu perfekt scheinen könnte. So lieblich ist das Leben halt einfach nicht.
Trotzdem gab es sie natürlich, die Lichtblicke: Unsere Auftragslage bei Entwicklungsprojekten hat sich zum Glück etwas stabilisiert und wir haben aktuell ausreichend gute, richtig sinnstiftende Projekte, die uns auslasten. Unser 25-jähriges Jubiläum war ein herzerwärmendes Fest, von dem ich noch lange zehren werde. Die Begegnungen mit anderen gemeinwohlorientierten Organisationen haben mich sehr inspiriert, und es macht mich stolz, dass auch wir ein bisschen Inspiration sein dürfen. Die Lehre stellt weiterhin einen unschätzbar wertvollen Raum zum Austausch für mich dar, genauso wie die eigenen und anderen Veranstaltungen, die ich miterleben darf. Wäre all das nicht, wären die Tiefen dieses Jahres kaum zu ertragen gewesen.

Ein Jahr zum Abhaken. Aber nicht zum Vergessen. Wir haben viel gelernt, manches verloren, und sind noch da. Der Weg liegt wieder vor uns.
Ich möchte schließen mit ein paar Buch- und Podcast-Empfehlungen, die mich im Tumult dieses Jahres ganz besonders beschäftigt oder gestützt haben:
- Da wäre vor allem Die Kunst des Konflikts: Konflikte schüren und beruhigen lernen von Klaus Eidenschink. Ich musste es einfach noch ein zweites Mal lesen, um mich daran zu erinnern, dass vor allem Konflikte die Fähigkeit haben, Überkommenes zu verflüssigen und Neues zu ermöglichen — auch wenn wir vor allem so sozialisiert sind, Konflikte zu meiden.
- Rupay Dahm hat in Selbstbestimmt arbeiten, Betriebe demokratisieren — Ein Praxisleitfaden für selbstorganisierte Unternehmen ungefähr alles angeschnitten, was mich in den letzten 10 Jahren interessiert und inspiriert hat. Eine echte Gedanken-Schatzkiste mit extrem viel Praxisbezug.
- Sehr zum Nachdenken gebracht haben mich ganz aktuell Aladin El-Mafaalanis Misstrauensgemeinschaften, und das Thema „Verrechtlichung als Ersatz für Vertrauen" wird mich auf jeden Fall ins nächste Jahr begleiten.
- Nicht die einzige, aber die an dieser Stelle erwähnenswerteste Podcast-Neuentdeckung des Jahres war für mich Corporate Therapy. Kritisch, ungewöhnlich, mit sehr spannenden Themen und ebenso spannenden Gästen aus allen Teilen der Gesellschaft und Arbeitswelt.
Ich bleibe am Thema und werde berichten, sobald wir unsere neue Form vollends gefunden und fixiert haben. Bis dahin wünsche ich uns allen ein erfolgreiches und hoffentlich weniger stürmisches 2026.