Warum ich Märchen brauche

oder meine heimliche Beziehung zum Magischen Realismus

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von Zsuzsa Triebam

Dass Kinder Märchen brauchen, ist selbstverständlich. Viele ihrer Fähigkeiten werden durch Märchen entwickelt. Dass wir Erwachsenen ebenfalls Fabeln nutzen, um uns das Geschehen (oder Nicht-Geschehen, Wünsche) um uns herum gegenseitg zu erzählen und damit verstehen zu können, ist vielen gar nicht so bewusst.

Für mich ist Erzählen gerade in diesen Zeiten eine gute Verarbeitungsform. Meine Beziehung zum Erzählen hat vor vielen Jahren begonnen, als ich mit 20 das Buch Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez, dem Vater des Magischen Realismus, gelesen habe. Ich fand die Geschichte bezaubernd. Er schreibt die ganze Story realistisch, und auch die märchenhaften Fragmente sind präzise beschrieben. Er will, dass ich das Märchen glaube. Und genau dieses Ziel hat mich so tief inspiriert. Ich habe die Geschichte in mir wirken lassen und als Ergebnis entstand das selbe Ziel: Ich will so malen, wie Márquez schreibt. Anders, ich will unreale Dinge so malen, dass sie der Betrachter glauben kann. So kamen Träume als Thema bei mir auf die Leinwand.

Frau füttert Giraffe von ihrem Balkon aus
Auf dem Balkon

Öl auf Leinwand, 90 x 90 cm, 2014
Eine Freundin träumte, dass sie von ihrem Balkon mitten in Budapest aus eine Giraffe füttert

Quelle: Zsuzsa Trieb, , Alle Rechte vorbehalten

Viele Menschen träumen so, dass sie sich nach dem Aufwachen klar an alles erinnern können. Träume sind Märchen von nicht realen Dingen, realistisch erzählt. So können wir aus dem Alltag aussteigen und Unmögliches erleben, eine Giraffe vom eigenen Balkon aus füttern oder Stufen im Flug nehmen.

Monumentale Treppe am Waldrand, eine Frau fliegt mit ausgebreiteten Armen über den Stufen
Traum mit Stufen

Öl auf Leinwand, 100 x 100 cm, 2013
Es passierte mehrmals, dass ich in meinen Träumen fliegen konnte

Quelle: Zsuzsa Trieb, , Alle Rechte vorbehalten

Einer meiner wiederkehrenden Träume ist, dass ich fliegen kann. Der langsame Spaziergang wird zum Laufen, das sich ins Fliegen wandelt. Auf einmal heben sich die Beine von den Stufen, und ich fliege mit einer unbeschreibbaren Leichtigkeit. Unter mir liegt ein großer Wald und ich sehe das grüne Laub der Bäume von oben. Meine Gedanken sind beim Landen — ich fürchte, dass ich mich verletze. Doch das Gegenteil passiert: Ich lande genau so sanft, wie ich den Boden unter mir gelassen habe.

Junge trinkt aus Tasse, um ihn Gläser und Tassen gefüllt mit Lego-Steinen
Lego-Tee

Öl auf Leinwand, 70 x 70 cm, 2020
Wir spielen, dass wir aus Lego gekochten Tee trinken

Quelle: Zsuzsa Trieb, , Alle Rechte vorbehalten

Mit meinem 3-jährigen Sohn erlebe ich Märchen anders. Seine Freude und Ängste verarbeitet er auch durch Märchen. Wie alle Kinder lebt er ganz intensiv in der magischen Welt, wo alles möglich ist. Seine Natürlichkeit fasziniert und inspiriert mich.

Links: Schlafender Junge, unter ihm Wale, die nach oben streben. Rechts: Junge reitet auf einem Waran, dahinter Vegetation
Traum mit Walen /
Ritt auf dem Waran

Grafit auf Papier, 30 x 40 cm, 2020
Vielleicht wirkt es gegen Ängste, in der Fantasie einen Waran zu reiten

Quelle: Zsuzsa Trieb, , Alle Rechte vorbehalten

Kunst hilft mir, eine kleine Pause zu machen und dabei gedanklich wieder frei zu werden. So gehen die Arbeit und das Leben unbeschwerter weiter. Ich freue mich, ab jetzt Teil des Tollwerk-Teams zu sein — und vor allem auf die Zeit, in der alles wieder normal läuft.