Ein Quantum mehr — Teil 3

Veröffentlicht als Ereignis
von Joschi Kuphalam

„Därfs a weng mehr saa?“, haben wir uns als gemeine Franken gefragt, als wir zum Jahreswechsel 2020 unsere Gehälter auf links gekrempelt haben. Nicht einfach so, natürlich. Da lagen eineinhalb Jahre voller Fragen, Recherchen, Ideen, Diskussionen, Vorschläge, Rückschläge und Entscheidungen hinter uns. Herausgekommen ist etwas, das wir unser „Quantum-System“ nennen — der hausgemachte Versuch, ein Gehaltsmodell für unser Team zu finden, das sich möglichst gerecht und fair anfühlt und bei dem wir als Menschen im Mittelpunkt stehen. Nach 18 Monaten Quantum haben wir unser System nun erstmals zur Nachuntersuchung gebeten — und können ausführlich berichten.

Anders als ursprünglich geplant mussten unsere Freunde Natalie Golob und Sven Latzel von Vitale Arbeitskultur ihr für Ende Juli angesetztes Startup Heroes Camp 2022 mangels Anmeldungen im ersten Anlauf leider streichen. Natürlich ist das schade, aber wie wir vernommen haben, planen die beiden bereits einen zweiten Anlauf für nächstes Jahr. Und noch viel besser: Zumindest der Barcamp-Tag, für den Annika und ich eine Session zu unserem Quantum-System vorbereitet hatten, hat es trotzdem überlebt! Denn anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, haben sich Natalie und Sven lieber mit Nico Eichholz und Marius Müller von Anders Gründen zusammengetan und kurzerhand deren zweites TRANSFORM EXPRESS Barcamp als Plattform genutzt, um weitgehend dieselben Themen zu spielen.

So hatten Annika und ich die Gelegenheit, am 22. Juli in äußerst entspannter Atmosphäre unter freiem Himmel und mit einem bunten Bauwagen als Kulisse unser Quantum-System zu präsentieren. Liebenswerterweise hat Alex Cio die Session für uns auf Video eingefangen, sodass wir euch heute nun diesen Zusammenschnitt präsentieren können.

Quelle: tollwerk GmbH, , Alle Rechte vorbehalten
Transkript: Deutsch (German)

JOSCHI: Wir sind Joschi und Annika, wir sind vom Tollwerk. Tollwerk ist eine kleine Agentur. Wir machen Internetseiten und Kommunikation und auch Print- und Grafikdesign, hauptsächlich mit dem Schwerpunkt Barrierefreiheit. Es geht also um digitale Barrierefreiheit, analoge Barrierefreiheit, das Aus-dem-Weg-Räumen von Hindernissen in Themen der Kommunikation, sodass alle Menschen teilnehmen können an der Kommunikation. Das hat auch viel mit Behinderungen zu tun, deswegen war es gerade eine spannende Session da drüben. Aber darum geht es heute gar nicht, sondern worüber wir heute erzählen ist die Reise, die wir hinter uns haben zum Thema unserer Gehälter und wie wir uns über die Jahre auf das hinentwickelt haben, was wir dann in den letzten 2-3 Jahren in einer Art und Weise manifestiert haben, so wie wir uns das zurecht gelegt haben. Das ist eine sehr individuelle Lösung, würde ich sagen, und sicherlich nicht für jeden und jeden Kontext geeignet, aber vielleicht ist die ein oder andere interessante Inspiration für euch dabei. Bevor wir jetzt erzählen, was wir gemacht haben, würden wir gerne mit zwei kurzen Fragen anfangen, und zwar Fragen an euch. Dazu drehe ich unser „Dia“ mal um.

ANNIKA: Vorsicht! Nicht, dass es herunterfällt.

JOSCHI: Leider ist der Klebstoff offensichtlich nicht für diese Temperatur gemacht, deswegen löst sich das alles auf. Wir fangen mal mit einer Frage an — und ich muss die ein bisschen erläutern, denn sie ist nicht so einfach, wie sie hier steht. Nämlich wüssten wir gerne, wer von euch ein festes Gehalt hat. Damit meine ich nicht unbedingt einen Arbeitgeber, der euch angestellt hat, sondern wer von euch ein Gehalt hat, das auf irgendeine Art von Vereinbarung zurückgeht, entweder mit euch selbst oder mit einem Arbeitgeber, sodass ihr in einer geregelten Form, vielleicht wiederkehrend im Idealfall, Geld einnehmt und das irgendeiner Regel folgt. Unsere bezaubernde Kollegin Nina teilt gerade Klebepunkte aus, und zwar — ich weiß nicht, ob sie gleich alle austeilt? Jawohl, tut sie. Ihr bekommt 1 großen blauen und 6 kleine, und ich würde euch nun bitten, den großen blauen zu nehmen und einfach kurz hier vorzukommen und euren Klebepunkt auf diese Skala dorthin zu kleben, wo ihr euch einordnet. Habt ihr ein festes Gehalt oder habt ihr kein festes Gehalt? Wann hat man kein festes Gehalt? Das hat man zum Beispiel dann, wenn man selbstständig ist, so wie ich angefangen habe, und man einfach am Ende des Monats nimmt, was übrig ist. Das meine ich nicht mit festem Gehalt. Wenn ihr euch selbst eine Regel auferlegt habt — „Ich nehme im Monat einmal 3 Mark raus“ — dann ist das eine Regel, okay? … Ich wusste, ich habe den — wollte den Maßstab absichtlich realistisch wählen.

TEILNEHMERIN: Ich habe eine kleine Festanstellung bei der Stadt Nürnberg seit 6 Wochen.

JOSCHI: Deswegen ist es eine Skala. Ihr dürft euch auch gerne …

TEILNEHMERIN: Also ich bin in der Mitte …

JOSCHI: Ja, das habe ich …

TEILNEHMERIN: Du bist auch in der Mitte … Ja, das ändert sich halt.

JOSCHI: Ich habe vermutet, dass so etwas kommt, deswegen haben wir das offen gestaltet.

[Stille]

Okay, spannend. Sehr interessant! Ich habe zwar damit gerechnet, dass Punkte in der Mitte herauskommen, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass so viele Punkte in der Mitte herauskommen. Das ist gut, okay.

Jetzt kommt die Frage Nummer 2. Das ist eine Frage, die eigentlich drei Facetten hat. Die machen wir der Reihe nach und fangen damit an, dass uns interessieren würde: Was denkt ihr, welche Faktoren KÖNNEN ein Gehalt insgesamt beeinflussen? Also alle Möglichkeiten, die euch einfallen. Was ist möglicherweise ein Faktor, aufgrund dessen es zu bestimmten Gehältern kommt? Erst einmal vollkommen offen. Es muss nichts mit euch zu tun haben, kann auch kompletter Ponyhof sein.

TEILNEHMERIN: Betriebszugehörigkeit!

JOSCHI: Nina schreibt wunderschön … aber … ihr dürft das jetzt nicht zu schnell machen. Vielleicht schreibe ich auch noch mit? Soll ich auch noch mitschreiben? Oder du schreibst auch noch mit. Okay! Also, Betriebs …

TEILNEHMERIN: So etwas wie Festanstellung. Also: Wie lange bist du dabei?

JOSCHI: Ah, Dauer. Dauer der Betriebszugehörigkeit. Okay, ich glaube, ich schreibe auch noch mit.

TEILNEHMERIN: Welche Tätigkeit man übernimmt …

[…]

JOSCHI: Super!

TEILNEHMER: Also sozusagen was bei uns gerade ist, nicht was wir uns wünschen, oder?

JOSCHI: Das ist erst einmal die Sammlung von allem, was möglich ist. Alles, was euch einfällt, das Einfluss nehmen KANN. Jetzt bitte ich meine zauberhafte Kollegin, zur zweiten Teilfrage überzugehen. Nämlich würde ich euch bitten, die ersten — wir müssen uns einigen: Ihr habt da rote Klebepunkte alle, hoffe ich? Ihr nehmt jetzt bitte eure roten Klebepunkte, geht kurz vor und verteilt die roten Klebepunkte auf die Blättchen, was ihr denkt, welche Faktoren die Gehälter beeinflussen SOLLEN. Also was ist — was denkt ihr wäre ideal oder was — wann wäre es irgendwie richtig gut?

TEILNEHMERIN: Darf man auch alle Punkte auf eines setzen?

JOSCHI: Ja, keine Einschränkung. Die sind ja sowieso nicht auseinanderzuhalten, also wir wissen nicht, dass die drei roten von dir kommen.

TEILNEHMER: Wir haben übrigens zwei Mal „Bedarf“, sehe ich gerade.

JOSCHI: Dann hängt sie zusammen.

[…]

Okay, und letzte Runde. Dafür habt ihr nochmal drei Punkte. Nina, wie machen wir das? Müssen wir da — da haben wir doch noch einen Zettel, oder soll ich das einfach sagen?

NINA: Wir haben keinen Zettel mehr.

JOSCHI: Dann, letzte Runde … müsst ihr euch denken, steht jetzt gerade die nicht da. Jetzt bitte klebt noch Punkte: Was beeinflusst eure Gehälter TATSÄCHLICH im Moment? Jetzt. Also was ist die Realität? Bisher war alles Ponyhof.

[…]

Okay, ich sage jetzt einfach mal „Super!“. Ohne das jetzt schon im Detail studiert zu haben — und ich werde mir das noch in Ruhe anschauen —, aber was auf jeden Fall schon deutlich wird, ist, dass euer Wunschdenken und die Realität ein Stückchen auseinandergehen, sag ich mal ganz vorsichtig. Ich finde es total interessant, dass offensichtlich vieles tatsächlich beim Bedarf und bei der Verantwortung und dem persönlichen Kontext gewünscht wird, aber offensichtlich nicht zwangsläufig dort liegt. Danke erst einmal dafür!

[…]

Jetzt beginnt mein zweistündiger Vortrag. Wenn ihr euch noch mal kurz versorgen müsst, dann … Nein, also, erst einmal danke dafür. Das ist, glaube ich, einfach mal total spannend, ein solches Stimmungsbild zu kriegen. Das haben wir jetzt auch zum ersten Mal gefragt. Ich bin ein bisschen überrascht, muss ich zugeben, aber ich glaube, es liegt auch ein bisschen daran, dass der Kreis, in dem wir jetzt hier gerade sind, nicht ganz, ganz durchschnittlich ist, sondern es sind schon sehr individuelle Personen hier.

Ich will kurz beschreiben, ohne sehr in die Tiefe zu gehen, wie wir dazu kommen, uns über das Thema Gedanken zu machen. Es gibt unsere Agentur seit 22 Jahren, bald 23 Jahre. Natalie hat die Anfänge miterlebt, vor 20 Jahren ungefähr. Und ganz, ganz am Anfang war ich wirklich allein. Da habe ich quasi das gehabt, was ich vorhin schon skizziert habe, nämlich ich hatte keine Vereinbarung mit irgendwem, sondern ich habe einfach … das, was am Monatsende übrig war, war meins und davon habe ich gelebt. Ich kann mich nicht beklagen. Ich habe immer ganz gut gelebt für meine Verhältnisse. Aber es war ziemlich easy: Ich musste mich mit niemandem absprechen, außer mit dem Finanzamt vielleicht.

2002 kam unser erster Auszubildender dazu. [Zu Natalie:] Ich denke, du hast Andi auch noch miterlebt im Anfang, wahrscheinlich? Wir sind dann über 10 Jahre hinweg eigentlich nur durch Auszubildende gewachsen. Das heißt, da sind nur Leute zu uns gekommen, die selber keinen Vergleich hatten, die nirgendwo vorher sonst gearbeitet haben, die sozusagen nie eine andere Unternehmenskultur miterlebt haben. Es ist eine interessante Konstellation entstanden zu dieser Zeit: Wir waren — wir haben uns eigentlich alle gefühlt, als wären wir Mit-Unternehmer, und haben irgendwie alle an dem Ding gebaut und gezogen und haben es immer weiter ausgebaut. Für uns war in dem Moment — wir waren uns erstaunlicherweise ziemlich einig, ohne dass wir uns das vorgenommen haben. Für uns war immer wichtig, dass … der Arbeitsplatz muss irgendwie ein sicherer Ort sein, an dem wir uns wohlfühlen, wo wir nicht darum kämpfen müssen, dass wir überleben können, wo wir uns frei entwickeln können. Es war kein interner Konkurrenzdruck da, sag ich jetzt mal, und es ist irgendwann in dieser Zeit — und ich weiß tatsächlich nicht mehr, wie das entstanden ist — aber irgendwann ist in dieser Zeit das Prinzip entstanden, dass wir alle dasselbe verdient haben. Wir haben keinen Unterschied gemacht zwischen mir als Gründer und Geschäftsführer (wobei ich damals noch Einzelunternehmer war) und allen anderen, und niemand hat anders verdient. Schon anders insofern, als dass wir teilweise Menschen hatten, die nur halbtags gearbeitet haben oder nur zweimal die Woche da waren, die haben natürlich weniger verdient. Aber wir hatten sozusagen den gleichen internen Stundenlohn, wenn man so will. Das ist aus so einer sozialen Überlegung heraus entstanden, weil wir uns zu dem Zeitpunkt gesagt haben: „Das ist fair. Das ist unser Verständnis von Fairness.“

Wir haben das auch nicht nur nach Innen, sondern auch nach Außen so gelebt. Wir haben bis vor 2-3 Jahren wahrscheinlich — ich erinnere mich nicht mehr genau — mehrfach die Überlegung geführt, ob wir uns nach Außen hin zu unterschiedlichen Preisen verkaufen sollen, und haben uns mehrfach aktiv dagegen entschieden, das zu tun, weil wir immer gesagt haben: „Wir sind nicht unterschiedlich viel wert und unsere Arbeit ist nur als Ganzes sinnvoll.“ Dann ist es eigentlich egal, wer was tut oder wer wann mal was tut. Es ist eigentlich alles immer gleich wichtig.

Wir haben uns wunderbar gefühlt — so bis 2010, und dann ist etwas passiert, das mich damals extrem getroffen hat, nämlich die ersten Mitarbeiter sind gegangen. Andi ist nach Australien ausgewandert. Es war keine Trennung, weil er sich nicht wohlgefühlt hätte, sondern es hat sich einfach aufgelöst. So hat sich irgendwie diese ganze erste, 10 Jahre währende Generation aufgelöst und es sind auf einmal neue Leute dazugekommen, über die Jahre. Und zwar Leute, die aus anderen Beschäftigungsverhältnissen gekommen sind, die schon andere Kulturen erlebt hatten. Jetzt würde ich gern das Wort an Annika übergeben, weil sie nämlich eine ist, die dann dazugekommen ist.

ANNIKA: Ich bin 2017 dazugekommen. Es ist also noch eine ganze Zeit ab 2010 vergangen, aber tatsächlich hatten wir zu dem Zeitpunkt … also ich kam und es war immer noch die Ansage: „Wir verdienen alle das gleiche.“ Ich bin als Mama in Teilzeit dazugekommen und hatte tatsächlich aber schon vier Stationen hinter mir, war 5 Jahre in München und habe natürlich auch diverse Personal- und Gehaltsgefüge schon erlebt gehabt. Also wie Gehaltsverhandlungen laufen, wie Personalgespräche laufen und so weiter. Ich hatte schon eine Vorstellung von dem, was ich gerne verdienen würde, weil als Teilzeit-Mama fängt man jetzt nicht aus Jux und Tollerei wieder an, zu arbeiten — man hätte in der Regel genug zu tun zu Hause. Ich habe aber perfekt reingepasst noch ins System. Ich war mit meiner Vorstellung sehr nahe an dem, was quasi meine damaligen Kollegen so auch verdient haben. Dann ging es aber los, dass wir ein Stück weit gewachsen sind, oder gerne gewachsen wären, und auch Bewerber hatten, die kamen, und es war so ein bisschen … wir mussten es beide lernen … das war anders als bei uns früher, in Anführungsstrichen, dass wir als Organisation sagen: „Wir hätten hier eine Stelle für dich, möchtest du die gerne haben?“, sondern eher so, dass der Bewerber kommt und er eine ganz fixe Vorstellung hat. Und da haben wir auf einmal ein Problem gekriegt — zumindest in der Aufstellung, wie wir sie uns bis dahin erhalten haben, und mit der wir mit der bestehenden Mannschaft auch zufrieden waren. Und dann … mussten wir uns was überlegen.

JOSCHI: Man muss dazu sagen, dass diese Vorstellung … es gab einen ganz konkreten Fall, an dem hat sich dann sehr viel entladen … man muss dazu sagen, dass die Vorstellung dieses Herrn deutlich über unseren Gehältern lag. Sie war nicht obszön unangemessen — also ich würde sagen, sie war sogar angemessen. Nur das Problem war, dass wir gemerkt haben, wenn wir unserem eigenen Versprechen treu bleiben wollten, dann müssten wir nicht nur ihm mehr zahlen, sondern allen anderen sieben, die wir zu dem Zeitpunkt waren, auch.

ANNIKA: Weil wir bis dato den Faktor, dass man durch einen Wechsel in der Stelle in ein anderes Unternehmen oft ja mal die Chance nutzt, sich weiter auch nach oben zu orientieren, was das Gehalt angeht. Das gab es bei uns bis dahin nicht. Ich war eine der ersten, die von extern kamen, die quasi schon Stationen vorher hatte. Der Rest war mit Joschi zumindest schon viele Jahre lang groß geworden, und da gab es diese Wechsel innerhalb eben überhaupt nicht.

JOSCHI: Ich muss vielleicht auch dazu sagen, dass ich nie in meinem Leben angestellt war. Ich habe mich auch nie irgendwo beworben. Also auch ich habe irgendwie null Erfahrung. Das ist alles irgendwie immer nur so … es ist halt passiert, Dinge sind entstanden. Wir haben da also gemerkt, dass wir zum einen von außen Einflüsse bekommen, die uns unter Druck setzen, und wenn wir mit unserem „Alle gleiches Gehalt!“ weitermachen, dann blockieren wir uns ganz stark selbst. Wir haben nicht die Möglichkeit, vielleicht sogar mal jemanden mal ins Team aufzunehmen, bei dem wir sagen: „Wow! Die Person ist genau die Person, die wir brauchen. Die bringt uns richtig nach vorne, und dann müssen wir uns auch mal lang machen und dieser Person einfach mal mehr geben.“ Das hat unsere Ethik damals nicht zugelassen und wir haben gemerkt, das blockiert uns. Gleichzeitig kam aber auch von Innen heraus ein Stück weit Druck, mit den Leuten, die dann auch da waren und die gemerkt haben: „Ich will mich auch irgendwie weiterentwickeln!“ Und dann waren welche dabei, die sagen: „Hey, ich habe einen Plan für die Zukunft, ich möchte vielleicht Familie, ich will ein Haus …“. Jetzt nicht in unanständig großem Maß, aber einfach so ganz normal, und die dann gesagt haben: „Ich bin bereit, mehr zu leisten. Kriege ich mehr dafür?“ Und auch das hat unser System an der Stelle nicht hergegeben, weil es nicht dieses „Gleiches Gehalt für alle“ war. Wir haben gemerkt: Es knirscht und wir müssen etwas unternehmen.

Ich glaube, es war im Herbst 2018, da haben wir einen Tag lang internes Barcamp gemacht und ich habe mir erlaubt, die Frage in die Runde zu stellen: „Das mit unseren Gehältern … wollen wir es vielleicht mal anders machen?“ Ich habe gedacht, ich kriege richtig viel Gegenwind, aber es war ganz anders. Fast alle haben gesagt: „Ja klar, warum nicht?“ Das war von denen, die sich sowieso schon steigern wollten — die musste man nicht lange überreden — bis zum Azubi, der sagte, er habe sich sowieso schon immer fragt, wie das hier funktioniert, und klar könnten wir das anders machen.

Dann haben wir angefangen und sind in einen Prozess eingestiegen, der lange gedauert hat — ich würde sagen eineinhalb, zwei Jahre. Schade eigentlich, ich wollte ein Buch mitbringen … ich habe nämlich dann als erstes ein Buch gelesen, das heißt „Leistungsorientierte Vergütung: Anreizsysteme wirkungsvoll gestalten“, und es ist genauso sperrig, wie es heißt. Aber das war der Einstieg in eine 2 Jahre andauernde Recherche zu allen möglichen Themen. Ich habe ein paar der Dinge, die uns in dieser Zeit beschäftigt haben, hier zusammengetragen. Ich lese sie jetzt nicht vor, aber ganz viele Dinge, die wir herausgeschält haben. Wir haben versucht, überhaupt erst einmal zu verstehen, warum wir so lange an diesem „Gleiches Gehalt für alle“ festgehalten haben. Was ist eigentlich spannend daran? Warum finden wir das immer noch gut (im Prinzip)? Weil wir festgestellt haben: Dieser soziale Aspekt, der gewollt soziale Aspekt darin, ist sehr wichtig für uns. Den wollen wir, den finden wir gut. Wir haben aber auch gleichzeitig festgestellt, dass es schwierig ist, wenn sich Leistung nicht lohnt und wenn keine Möglichkeit für einzelne Personen besteht, sich absichtlich zu steigern, indem sie mal eins oben drauflegen können. Auch das war ebenso ein Bedarf, und da stecken eben ganz viele Erkenntnisse drin.

Wir haben versucht, einen Weg zu finden, der uns entspricht. Wir wollten bei uns nie Konkurrenz innerhalb des Teams, innerhalb der Organisation haben. Wir wollten nicht, dass die einen Mitarbeiter gegen die anderen antreten und sich erst einmal ihren Platz freirangeln müssen. Wir wollten immer, dass alle gemeinsam wachsen können, und es war nach wie vor wichtig für uns, dass der einzelne Mensch, dass die einzelnen Personen sich wohlfühlen und gesund sind, so dass das Team und in Folge die ganze Organisation gesund sein kann. Wir haben versucht, unsere Prinzipien herauszuschälen, und am Ende sind eben ganz viele … wir haben hier nochmal 2-3 solche Themen aufskizziert, bei denen wir festgestellt haben, dass wir uns für irgendetwas entscheiden müssen. Wir brauchen … wir müssen irgendeinen Kompromiss eingehen. Zum Beispiel: Wenn ich sehr, sehr individuell auf einzelne Personen schauen und sie glücklich machen will, dann wird es auf der anderen Seite für die anderen im Team zunehmend weniger nachvollziehbar sein, was da passiert. Man findet das dann willkürlich. Das ist zum Beispiel ein Konflikt, also Individualität gegenüber Nachvollziehbarkeit für alle anderen. Nachvollziehbarkeit ist ein super wichtiger Aspekt, das haben wir in der Recherche schon gemerkt. Wir haben es an uns selbst gemerkt und auch in dem, was wir gelesen haben (oder ich gelesen habe), dass vieles nicht davon abhängt, dass ich jemand anderem, meinem Teamkollegen oder meiner Teamkollegin, nicht gönnen würde, dass sie mehr bekommt als ich. Aber ich muss nachvollziehen können, warum so ist. Es muss irgendwie transparent sein, was es ist, und ich muss wissen, ich muss verstehen können, warum es so ist. Und nur durch dieses Verstehen-Können, diese Transparenz, entsteht die Akzeptanz, die es braucht. Also: individuell und nachvollziehbar stehen so ein bisschen im Konflikt miteinander. Und überhaupt dieses Thema: Wenn ich das ganze abstrakt mache, so dass es einfach zu bedienen ist, dann verliere ich auf der anderen Seite auch immer ein bisschen Diversität und ich habe nicht mehr so feine Stellschrauben. Ich kann dann nicht mehr so genau ins Detail schauen. Das sind alles Themen, die sich irgendwo gegenüberstehen.

Ich kann euch jetzt — oder wir können euch jetzt — nicht mehr sagen, wie es zu genau dem kam, worauf wir uns am Ende eingelassen und eingeschossen haben, aber es war auf jeden Fall eine Abwägung zwischen zwei Polen und wir haben uns irgendwo in der Mitte gefunden. Auf der einen Seite haben wir — das haben wir vorhin ja auch in der ersten Runde, der Fragerunde herausgefunden — auf der einen Seite hätten wir die Möglichkeit, die Gehälter … oder: Es gibt Gehälter, die sind total fremdbestimmt. Entweder, weil sie gewillkürt von irgendwem festgelegt wurden. Der Chef hat halt gesagt: „Das ist das, was wir zahlen“, oder „der Markt sagt“, oder der Tarifvertrag legt fest, oder keine Ahnung … also alles Optionen, bei denen ich persönlich eigentlich überhaupt keine Wahl habe. Oder am anderen Ende steht ein total selbstbestimmtes Modell. Ich fand es ganz, ganz spannend, dass ihr vorhin auf der Rückseite hier „Bedarf“ aufgeführt habt. Es sind Stichworte gefallen wie „Das, was ich eigentlich brauche“ und so weiter. Das ist beispielsweise … da gibt es Modelle. Ich weiß nicht, wer von euch Mein Grundeinkommen kennt? Alex wird es auf jeden Fall kennen, andere auch … Mein Grundeinkommen macht das, was sich „Bedarfsgehalt“ nennt. Das heißt, vereinfacht ausgedrückt sagt da jeder: „Das sind meine Rechnungen, das brauche ich im Monat, das hätte ich gerne als Gehalt.“ Super Ansatz, wo es funktioniert. Sehr frei. Es gibt auch noch andere Prozesse: Eine befreundete Agentur nutzt einen Beratungsprozess. Es kann jeder quasi einen Brief an einen Arbeitskreis schreiben und darin begründen: „Ich hätte gerne dieses und jenes, das sind meine Gründe dafür. Wie findet ihr das?“. Dann startet einen Beratungsprozess mit diesem internen Kreis, und am Ende kommt ein Gehalt dabei heraus.

Wir für uns sind irgendwo ein Stück weit in der Mitte herausgekommen. Wir haben auch versucht, auf unsere Personen im Team zu gucken und es ist nicht automatisch so … Wir sind neun Leute — das habe ich, glaube ich, noch nicht erwähnt. Also sozusagen ein überschaubares Team. Das ist noch ein Team, da kann man auch mal ein Experiment wagen, ohne dass es gleich kracht, beziehungsweise man kann schnell genug wieder zurückrudern. Wir haben auch auf unsere Personen geguckt und nicht jeder bei uns im Team ordnet sich da ganz eindeutig derselben Seite zu. Es gibt durchaus Personen, die wollen gar nicht so viel mitwursteln, sondern möchten, dass es einfach sicher ist. Es gibt andere, die sind ein bisschen offener oder engagierter. Und wir sind am Ende an einer Stelle herausgekommen, mit der wir uns dann wohlfühlen, und die ist ein Stück weit frei und ein Stück weit demokratisch, aber wir haben uns absichtlich auch Grenzen auferlegt, innerhalb derer wir uns bewegen und die wir nicht unter- oder überschreiten wollen. Einfach, um nicht 100%ige grüne Wiese zu haben, weil das auch Verantwortung ist, die man erst einmal ausfüllen muss. Das, was wir uns überlegt haben, haben wir unser „Quantum-System“ genannt und das gibt auch dieser ganzen Session ihren Namen. Und ich werde euch erläutern, was das bedeutet und wie wir dazu kamen.

Das, was wir machen, oder das Kernstück dessen, was wir Quantum-System nennen, sind zweiteilige Gehälter. Diese Gehälter setzen sich zusammen aus einem festen Sockel und einem variablen Obendrauf. Der feste Sockel ist regelbasiert, das heißt, er ist berechenbar, wenn man das so will. Ich kann euch die Formel dazu leider nicht aufsagen — sie ist inzwischen doch etwas komplizierter und steckt im Excel. Sie ist deswegen kompliziert (und das ist noch gar nicht so lange so), weil wir versuchen, in diesem Sockel ein paar Dinge abzubilden, die einfach auch da sind, die sind Fakt. Nämlich zum Beispiel, wie viel Zeit die Personen bei uns im Team verbringen und die sie in der Woche da sind. Von den 9 Leuten, die wir sind, haben nur drei Leute einen klassischen 40-Stunden-5-Tage-die-Woche-Vertrag. Alle anderen haben irgendetwas persönliches, die sind Musiker, die sind Mama, die hätten gerne mehr Urlaub als alle anderen … und wir haben lauter so individualistische Vorstellungen. Die haben wir versucht, trotzdem irgendwo in eine Berechenbarkeit zu bringen, und aus dieser Berechnung entsteht der Sockel.

Es ist Absicht, dass der Sockel hier in dieser Grafik etwas schmäler und dort etwas breiter ist, weil das einfach abbilden soll, dass es unterschiedliche Konstellationen gibt. Oben auf diesen Sockel kommt ein variabler Teil, und zwar als Faktor auf den Sockel. Das heißt, der Sockel wird multipliziert. Wir versuchen, das einfach zu machen. Es war immer das Ziel, dass wir zu etwas kommen, das man schnell erfassen, schnell begreifen kann, eben um die Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu haben, und dass ich mich nicht auf der Basis von Willkür bewege.

Wie kommt es zu diesem variablen Anteil? Wir haben lange recherchiert und versucht, herauszufinden — das ist alles das Ergebnis der Analyse, was uns wichtig ist — herauszufinden, was ist uns eigentlich wichtig? Was wollen wir betrachten? Es ist ein bisschen mechanisch und gleichzeitig kommt es am Ende zu einem Bild, das vielleicht zumindest … also, ich glaube, es ist immer noch populär, aber … vor allem in meiner Kindheit hatten wir immer Quartett-Karten, da gab es Autos oder Roboter oder so Dinge, wo dann stand: Er hat 300 PS und kann ganz schnell laufen … und wir wollten eigentlich immer, dass wir das, was wir — ja, oder Dinosaurier gab es auch, und wie schwer sie sind und was sie fressen und so weiter — und wir wollten eigentlich immer das Ganze auf so ein ganz, ganz einfaches Niveau bringen, so dass ich sagen kann: Alles, was mich und mein Gehalt betrifft und wie es zustande kommt, das habe ich auf einer ganz, ganz einfachen Basis. Das möchte ich sehr anschaulich vor mir liegen haben. Das heißt, wir haben hier immer auch visuell gedacht.

Was wir gemacht haben: Wir haben vier Aspekte oder Dimensionen aufgemacht, bei denen wir sagen, das sind einzelne Facetten, die wir gerne betrachten wollen und die wir irgendwie einbeziehen wollen. Diese vier Facetten heißen — und ich muss die Namen dann sofort erklären, denn sie sind nur deswegen so kurz, damit sie auf unsere Quartett-Karten passen — heißen bei uns „Rolle“, „Person“, „Leistung“ und „Verhalten“. Wenn man nur die Namen so liest, dann ist das ein bisschen irreführend, deswegen muss ich es erläutern.

Die Dimension „Rolle“ heißt: Wir schauen einmal auf die Stelle, die es im Unternehmen auszufüllen gilt. Was ist eigentlich das, was da getan werden muss, und mit wie großer Wichtigkeit für die Organisation ist diese Rolle versehen. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, wer diese Rolle ausfüllt. Rolle, Rolle ;) … Es ist unwichtig, wer diese Rolle ausfüllt, es geht gar nicht darum. Es geht quasi nur um die Stelle, die da belegt werden soll. „Stelle“ ist der verkehrte Begriff, aber „Rolle“.

Die zweite Dimension, um die wir uns kümmern, ist die Person, die diese Rolle belegt — und zwar vollkommen egal, welche Rolle es ist. Also einfach nur die Person. Wer ist das, wo steht sie im Leben, was ist ihr Bedarf und was ist der Kontext, in dem die Person steht? Muss sie Kinder ernähren? Hat sie bestimmte Verbindlichkeiten? Das hat vielleicht auch etwas mit Alter zu tun. Das hat einfach etwas mit der Stelle zu tun, an der die Person im Leben steht und welchen Bedarf sie hat. Das ist die zweite Dimension. Und wenn man sich überlegt, wie sich diese zwei Stellschrauben verändern, dann stellt man fest: Sie verändern sich langsam, nicht plötzlich. Die Bedeutung der Rolle im Unternehmen verändert sich nur, wenn ich die Rolle umdefiniere. Und gleichzeitig verändert sich die Stelle einer Person in ihrem Leben nur langsam und von alleine, mehr oder weniger, aber es ist alles sehr träge. Es ist ein träges Prinzip.

Und dann haben wir noch zwei Dimensionen, die sind genau das Gegenteil davon, nämlich drehen sich die zwei Dimensionen darum, wie stark engagiere ich mich denn wofür. Wie gesagt, die Begriffe sind ein bisschen irreführend. „Leistung“ und „Verhalten“ sagen jetzt nicht besonders viel aus. Mit „Leistung“ ist gemeint: Einsatz im Sinne der Wertschöpfung der Organisation — also nach außen hin, könnte man sagen. Im Sinne von: Was verdienen wir? Was produzieren wir? Was leisten wir? Was haben unsere Kunden, die uns ja ernähren sollen, was haben die von uns, und wie stark setze ich mich in dem Bereich ein?

Das zweite, dieses „Verhalten“, ist sozusagen das Gegenstück, nämlich das Engagement nach Innen hinein. Was leiste ich für das Team? Wie stark bringe ich mich da ein? Wieviel trage ich zur Kultur im Unternehmen bei? Das können ganz triviale Sachen sein, von Spülmaschine einräumen — auch sowas haben wir, das gehört genauso dazu — über: Wie bilden wir uns gegenseitig aus? Wie helfen wir uns? Wie unterstützen wir uns? Also eher die Leistung nach Innen hinein, die genauso wichtig ist, damit eine Organisation funktioniert und und gesund ist.

Und wenn ich mir jetzt anschaue: Diese zwei Dimensionen, da kann ich mir vornehmen, mich zu steigern, oder da kann ich vom Gas gehen, wenn ich das möchte. Da kann ich etwas tun, die kann ich schneller beeinflussen, als diese ersten zwei Dimensionen.

ANNIKA: Gerade diese Dimensionen gab es vorher nicht. Sich auch einzubringen und zu sagen „Ich möchte mehr und ich möchte mehr tun und möchte dafür dann natürlich auch mehr kriegen“, die Möglichkeit gab es vorher einfach gar nicht.

JOSCHI: Genau. So, und auf diese Art und Weise, mit diesem Prinzip, entsteht ein Faktor. Wir haben ja gesagt, das sind vier Dimensionen. Ich erhalte Punkte in diesen Dimensionen. (Wie es zu den Punkten kommt, erkläre ich gleich.) Ich erhalte Punkte, und ich muss in jeder Dimension mindestens einen Punkt haben, und kann höchstens fünf Punkte haben. Ich langweile euch nicht mit Mathematik, aber wir haben das einfach so geregelt, dass es am Ende darauf hinausläuft, dass ich mich immer irgendwo zwischen dem Faktor 1,4 und 3 bewege. Das heißt — ja, willkürliche Zahlen, vielleicht — aber das bedeutet … Es ist ganz interessant: Ich habe leider vergessen, wie es sich nennt, aber es gibt dieses "Management to worker ratio"-Dingsda. Es hat eine Statistik gegeben, gar nicht so lange her, etwa 2-3 Jahre. Die 30 erfolgreichsten deutschen DAX-Unternehmen wurden daraufhin untersucht, was der durchschnittliche Gehaltsabstand zwischen einem einfachen Arbeiter und einem Manager ist. Ich weiß nicht, kennt ihr die Zahl? Wisst ihr, welche Größenordnung es ist? Der Durchschnitt liegt beim 70-fachen. Das 70-fache ist der Durchschnitt im Gehalt zwischen einem einfachen Arbeiter oder einer Arbeiterin und dem Management. Im Schnitt!

TEILNEHMER: Bei den 30 Unternehmen, muss man sagen.

JOSCHI: Also, wir haben uns selbst darauf festgelegt, dass wir uns alle durch die Bank zwischen 1,4 und 3 bewegen. Das heißt im Endeffekt ein Faktor von 2 in etwa. Wir bewegen uns also irgendwo alle auf einem Gebiet, weil wir uns auch absichtlich dagegen sperren, irgendwie anders ausschlagen zu wollen.

TEILNEHMER: Also das heißt, um es kurz zu erklären: Wenn ihr 1.000 Euro Sockel habt, bewegt ihr euch zwischen 1.400 und 3.000 Euro?

JOSCHI: Yes! Perfekte Überleitung — herzlichen Dank! Jetzt gibt es eigentlich nur noch die Frage: Was ist dieser Sockel? Wie kommt es zu diesem Sockel? Weil der Sockel ist natürlich irgendwo — klar, am Ende ist der dann dafür verantwortlich, über wie viel Geld wir jetzt eigentlich hier am Ende reden.

[Geräusch einer Trillerpfeife]

ANNIKA: Oh, oh! Das war die Pfeife.

TEILNEHMER: Ein bisschen haben wir noch.

JOSCHI: Pech gehabt ;) Wie kommt es dazu? Der ist natürlich irgendwo beliebig gewählt, dieser Sockel. Wir haben uns da ein bisschen die Arbeit abnehmen lassen, beziehungsweise haben uns vorgenommen, wir machen uns an der Stelle erst einmal nicht wirklich selbst Gedanken darüber, sondern wir nutzen vielmehr ein Maß, das sowieso schon da ist, über das andere schon nachgedacht haben, und wir haben geprüft: Passt es zu unseren Vorstellungen? Passt es zu unserem Bedarf? Können wir damit leben? Und zwar haben wir einfach den (gesetzlichen) Mindestlohn genommen. Nicht, weil er besonders viel bedeutet, aber es hat sich jemand Gedanken darüber gemacht. Im Übrigen hat sich der auch, seit wir ihn als Grundlage eingeführt haben, schon 2 oder 3 Mal verändert. Das heißt, es ist damit auch automatisch eine Anpassung verbunden. Wir müssen den Mindestlohn natürlich sowieso auch einhalten, das ist klar. Aber wenn wir beim Faktor 1,4 liegen, dann liegen wir sowieso grundsätzlich immer darüber — brauchen also nicht darüber nachdenken. Die Wahl des Mindestlohns ist beliebig, und man muss auch ganz klar sagen: Wir stehen jetzt im Moment (oder im September) vor dem Punkt, an dem wir uns Gedanken darüber machen müssen, ob wir uns weiter an den Mindestlohn festklammern können, denn er wird dann von 10,50 Euro auf 12 Euro steigen. Der genaue Betrag spielt gar keine Rolle, aber es ist eine Steigerung von 20%, und wenn wir die mitgehen, heißt das, wir haben ab September 20% mehr Lohnkosten. Wir können uns das gerade nicht leisten. Entweder, es muss noch viel passieren bis September … aber ich will sagen: Wir haben erst einmal einfach einen Sockel genommen, der zu unserer Lebensrealität passt, bei dem wir sagen, damit kommen wir ganz gut zurecht.

Nachdem es schon gepfiffen hat, mache ich schnell weiter. Die Frage ist: Wie kommen wir jetzt dazu — ach, im Übrigen: Man kann das Ganze dann auf so einer Karte abfassen. Die Zahlen sind hier im Beispiel nicht ganz richtig, aber so in etwa jedenfalls. So fassen wir das Ganze ab. Die sind natürlich kleiner in Wirklichkeit, und es gibt eine Rückseite, da ist ein bisschen was erläutert.

Die Frage ist, das jetzt ganz schnell: Wie gehen wir damit um, oder wie passen wir das Ganze an? Wir passen das an, indem wir uns eine Kultur dazu ausgedacht haben, wie wir regelmäßig diese Zahlen überarbeiten und uns prüfen. Wir haben das Thema Mitarbeitergespräch thematisiert, das ich ja nie erlebt habe, weil ich immer selbständig war. Ich habe noch nie in meinem Leben ein Mitarbeitergespräch geführt. Aber meine Kolleginnen und Kollegen haben das durchaus erlebt. Ich habe gesagt: „Wow, cool! Da können wir uns endlich unterhalten darüber und das mal prüfen, ob das alles so stimmt, und ob wir uns weiterentwickeln wollen!“. Und die haben mich angeschaut: „Ehrlich? Willst du uns verarschen? Mitarbeitergespräche sind etwas Fürchterliches! Ich weiß gar nicht, wieso du dich so freust!?“ Und ich: „Ich weiß gar nicht, wieso ihr so traurig seid!?“ Wir haben festgestellt, dass wir völlig unterschiedliche Erwartungshaltungen zu diesem Thema haben, was einfach nur davon kommt, dass ich nicht geprägt bin.

Dann haben wir gesagt: Okay, wir müssen das einfach — wir nennen das anders, und wir machen das komplett anders. Wir gehen einfach anders vor und es wird eine super Erfahrung, haben wir gesagt. Was haben wir gemacht? Wir haben letztes Jahr etwas unternommen und haben es „Quantum-Workshops“ genannt, weil es da dazugehört, und in diesen Quantum-Workshops gehen wir spazieren. Das passiert nicht an einem Tisch, passiert nicht in einem Raum, sondern wir gehen spazieren. Wir sind neun Mal — weil wir neun Leute sind — neun Mal in den Marienbergpark gegangen. Wir waren immer zwischen 2 und 4 Stunden spazieren, und haben uns auf diese Workshops vorbereitet. Sie finden immer zu dritt statt. Wir haben einen Arbeitskreis, der sich speziell mit dem Thema Personal und Gehälter beschäftigt. Da gehören die Annika und ich dazu, und noch ein Kollege, der heute nicht hier ist. Wir sind sozusagen der Kern, der sich intensiv mit diesem Thema befassen will. Deswegen sind wir in diesem Arbeitskreis, und deswegen organisieren wir die Workshops. Wir haben viel in der Sonne gesessen, so wie heute. Das Feedback danach war durchweg „Nie wieder anders!“. Es war einfach megagut.

Die Ergebnisse, die dabei herausgekommen sind, sind dann in einem mehrstufigen Prozess … wir sie erst einmal in unserem Arbeitskreis besprochen und ausgewertet und haben dann einen Vorschlag gemacht. Was bedeutet das? Mit anderen Worten: Es geht da nicht nur um die Gehälter, da geht es um noch viel mehr. Aber es geht unter anderem auch darum [um die Gehälter]. Wir haben also einen Vorschlag gemacht, wie wir die Punkte neu verteilen würden. Wir haben den Vorschlag dann als erstes mit den Impulsgebern besprochen, die auch in den Workshops dabei waren, und haben gefragt: „Entspricht das auch eurer Vorstellung?“. Man muss ehrlicherweise sagen, das waren dann schon 6 von 9 Leuten, mit denen wir das besprochen haben, weil einfach so viele bei den Workshops dabei waren. Und zum Schluss haben wir das Ganze dem Team vorgelegt und uns per Konsent bestätigen lassen. Konsent ist ein Begriff aus der Soziokratie, dabei wird gefragt: „Hat jemand Einwände dagegen?“. Es gab keine Einwände, also wurde der Vorschlag so akzeptiert, wie er war, und das heißt, im Moment sind eigentlich alle ziemlich happy und wir werden das wieder machen. Man muss jedoch auch sagen, dass diese Workshops sehr aufwändig sind. Es ist einfach sehr viel Zeit, die da ins Land geht, deswegen wenn wir das jetzt nicht einmal im Halbjahr machen, aber vielleicht nächstes Jahr wieder. Ich weiß es nicht, es noch nicht beschlossen, ob wir das tun.

Und vielleicht noch ein letztes Detail: Was durch diesen Prozess und durch die Beratung und durch dieses intensive Beschäftigen auch mit allen anderen entsteht und entstanden ist, ist, das zum Beispiel jetzt in dieser letzten Runde zwei von uns — und einer davon bin ich — in ihrem Gehalt zurückgegangen sind. Weil wir einfach der Meinung sind, dass wir uns in unserer Position im Unternehmen oder die Stelle in unserem Leben, ganz egal, alles hat sich einfach so verändert, dass wir uns im Vergleich zum Team an dieser Stelle nicht zu mehr befugen möchten, und das lässt das System auch zu. Und ich glaube, es bleibt auch kein schlechtes Gefühl dabei.

ANNIKA: Nein. :)

JOSCHI: Was soll ich sagen? Wir sind jetzt durch und ich würde trotzdem sehr, sehr gerne noch Feedback von euch haben und wenn wir es nicht jetzt tun, ich bin auf jeden Fall länger da heute, also wir können das auch nachher noch machen. Ja, ja, keine Ursache!

Das Barcamp fand auf dem idyllischen, 3.000 m² großen Gelände des Kollekt Jardin, einem solidarischen Urban-Gardening- und Kultur-Projekt an der Stadtgrenze zwischen Nürnberg und Fürth statt. In der Erwartung, dass wir unter freiem Himmel nicht auf die übliche Präsentationstechnik setzen könnten, hatten wir uns im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, wie wir die erklärungsbedürftigen Zusammenhänge unseres Quantum-Systems am besten analog vermitteln könnten. Inspiriert durch das Interviewprojekt mit dem Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst im vergangenen Jahr, insbesondere durch das dafür nachträglich angefertigte Graphic Recording, kam mir die Idee: Warum nicht die Reihenfolge umkehren und eine ähnliche, vorab gezeichnete Illustration als einzelne, analoge „Folie“ zur Präsentation verwenden? Wenn mir nur manche Ideen nur nicht so spät kommen würden …

Graphic Projection™

Zu unserem großen Glück konnten wir trotz extrem kurzem Vorlauf die wunderbare Amelie Baumer dafür gewinnen, uns diese beeindruckende Graphic Projection™ zu fertigen, die wir hier nur allzu gerne wiedergeben. Sowohl zur Präsentation, als auch beim Publikum kam dieses „Wimmelbild“ bestens an. Was haltet ihr von dieser Technik?

Wie es zu Gehältern kommt

Nicht vorenthalten möchten wir euch auch ein Bild der Post-It-Notizen und Klebepunkte, mit denen unser Publikum zu Beginn der Session auf unsere Fragen reagiert hat. Eine verbale Zusammenfassung und Interpretation der Antworten ist in der Videoaufzeichnung beziehungsweise im Transkript zu finden.

Summary in English

In response to Tobias' suggestion on LinkedIn, here's a "brief" summary of our Quantum system in English language. After pursuing an "equal pay for everyone" strategy for almost 2 decades, we introduced this self-developed approach in 2020 to democratically determine and periodically refine the salaries for our team (among other things). Social equity, fairness, transparency, flexibility, adequacy, performance orientation (within limits) and prevention of envy and rivalry were our main drivers when coming up with this system. We tried to get a grip on some apparent opposites:

  • The method should be as standardised as possible but still allow individual adjustments.
  • It should provide and facilitate a holistic view while being easy to grasp and use at the same time.
  • It should be experienced as "fair" by all individuals but still remain sustainable for the whole organisation.

After more than a year of research, discussion and experiments we came up with a deliberately playful, partly calculable, partly consultation-led method to determine our salaries:

  • There's a base amount that is (at the time being) linked to the German statutory minimum wage and takes into account the aspects of our individual work agreements (working hours / days per week, holidays per year). It's formula-based and 100% predictable — like a "minimum basic income".
  • In a second step, the base amount is multiplied with the quantum — an individual factor that's derived from 4 facets (see below), democratically determined in a consultative process. By design, this factor ranges between 1,4 and 3. In other words: We all earn somewhere between 1,4 and 3 times the base amount.

In order to find the quantum factor for each team member, we take 4 different perspectives to look at the combination of role and person (the facets' names need to be super short as they have to fit on our quantum cards which deliberately look like the quartet cards of our childhood 😉):

  1. Role: This facet is completely independent of the person taking a particular role. Questions are: What kind of knowledge and skills are necessary for this role? How much responsibility and load are linked to it? How important is the role for the organisation?
  2. Person: In contrast to Role this facet exclusively focuses the person itself, regardless of the role they will take. Questions are: What's the person's background and position in life? How much experience do they bring to the team? What's their social context and which expectations do they have to live up to (e.g. family)? What's the person's relationship with the organisation and what do we owe them?
  3. Performance: The name of this facet could be misleading and needs explanation. What we mean here is the deliberate effort a team member puts into direct market value creation (i.e. into the sellable products and services our organisation provides). It's about the energy directed "outwards". How much commitment does the person show? How much responsibilities do they actively take? How effectively do they develop and improve their skills, competencies and innovative abilities?
  4. Behaviour: Again, this facet needs explanation and is the "inwards" counterpart to Performance. It's all about the energy a person puts towards the organisation itself, the team and the corporate culture. How actively and positively do they impact the atmosphere and team spirit? What's their contribution to the collective? How aligned are their efforts with the corporate purpose and welfare?

Each team member receives a value between 1 and 5 in all of these facets. Role and Person will only change rarely or gradually — there's not much you can do to accelerate these inert constellations. It's quite different with Performance and Behaviour, though: This is where one can actively decide to put more or less effort into. As you may have noticed, we try to honour all sorts of commitment, not just the conventional outbound high-performer traits. The total facet points are translated into the quantum factor that we use to multiply the base amount, ultimately resulting in the gross salary.

But how do we find the facet values for a team member, you ask? Instead of running traditional performance reviews we came up with the Quantum workshop process, a custom replacement that's partly inspired by sociocratic development meetings. Each workshop has 3 participants: One member of our Personnel & Salaries circle (= the host), the team member in focus (= the guest), and a third team member invited by the guest (= the advisor / impetus giver; could be an advocate or critic; if the guest doesn't want to make a choice, a second member of the Personnel & Salaries circle will step in). We conduct the workshops in form of extended walks (usually 2-4 hours) in a park nearby. All participants prepare the workshop by means of a peparatory worksheet. The conversations turned out to be extremely fruitful — we consider it essential that they don't take place in a typical office / meeting setting. The workshop results are first discussed within the Personell & Salaries circle which concludes by making a quantum proposal for each team member. In a second round, the proposal is discussed with the extended circle of workshop advisors / impetus givers. Finally, the refined proposal is presented to the whole team where it's legitimized by sociocratic consent.

We experienced the whole workshop process to be rather laborious and time-consuming, but absolutely worth the effort. It's extremely participatory and led to a degree of mutual understanding that we could only dream of when we started out doing this. Our Quantum system as a whole isn't perfect for sure, but so far it works quite well for us and seems to be a great compromise between completely self-chosen hippiesque freestyle salaries (which might put quite a heavy load on each individual!) and fully externally imposed, possibly arbitrary and / or self-marketing biased salaries (which is not everyone's strength either). Always happy to hear your thoughts! 🙏