Neue Vergabe­re­geln für öffent­li­che Aus­schrei­bung­en

Veröffentlicht als Ereignis
von Joschi Kuphalam

Zum 26. März 2020 hat die Bayerische Staatsregierung eine neue Verwaltungsvorschrift zum Öffentlichen Auftragswesen erlassen, die spürbare Auswirkungen auf die Vergabebedingungen bei öffentlichen Ausschreibungen haben kann. Durch die Vorschrift werden bis Ende Juni insbesondere solche Beschaffungen begünstigt, die zur unmittelbaren Bekämpfung der Corona-Krise beitragen. Aber auch darüber hinaus ergeben sich Erleichterungen für öffentliche Auftraggeber, von denen erfreulicherweise auch die Barrierefreiheit von Webseiten und anderen digitalen Angeboten der öffentlichen Hand profitieren kann.

EU-Richtlinie 2016/2102

Zur Erinnerung: Im Dezember 2016 hat die Europäische Union die EU-Richtlinie 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen veröffentlicht. Danach waren die EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, bis zum September 2018 auf nationaler Ebene die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, damit öffentliche Stellen ihre digitalen Angebote schrittweise zur Barrierefreiheit führen. In der Konsequenz wurde 2019 die in Deutschland geltende Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) 2.0 angepasst.

Besagte EU-Richtlinie verpflichtet öffentliche Stellen durch alle Verwaltungsebenen hinweg, ihre Internetseiten und sonstigen digitalen Angebote wie Smartphone-Apps oder PDF-Downloads barrierefrei zu gestalten. Betroffen sind neben Bundes-, Landes- und kommunalen Verwaltungen auch beispielsweise Universitäten, Bibliotheken, öffentliche Krankenhäuser, Polizeistellen oder Gerichte. Ausgenommen sind öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und bedingt Schulen, Kindergärten und Krippen.

Für die Umsetzung der Richtlinie gelten verschiedene Fristen:

  • Webseiten und andere digitale Angebote, die nach September 2018 veröffentlicht wurden, mussten bereits bis September 2019 barrierefrei gestaltet sein. Neuentwicklungen sind von Beginn an mit Barrierefreiheit im Blick zu realisieren.
  • Inhalte, die schon vor September 2018 entstanden sind, müssen erst bis September 2020 barrierefrei sein. Eine Ausnahme stellen hier PDF-Dokumente und andere Formate von Büroanwendungen dar, die zum Download angeboten werden: Sie müssen nachträglich nicht barrierefrei umgestaltet werden — es sei denn, sie sind für aktive Verwaltungsverfahren notwendig.
  • Für mobile Anwendungen (zum Beispiel Smartphone-Apps) gilt die Richtlinie erst ab Juni 2021.
  • Intranet-Anwendungen, die seit September 2019 neu gestaltet werden, müssen ebenfalls barrierefrei sein. Bestehende Intranets müssen erst bei einer grundlegenden Überarbeitung entsprechend angepasst werden.

Barrierefrei nach EN 301 549 / BITV 2.0

Aus den Fristen geht hervor, dass bis spätestens September 2020 auch bei neueren Internetseiten für Barrierefreiheit zu sorgen ist. Doch viele öffentliche Stellen sind längst nicht so weit: Häufig fehlen der Überblick und die Ressourcen, oder die beteiligten Dienstleistenden haben nicht die notwendige Expertise.

Als Maßstab für die herzustellende Barrierefreiheit gilt die europäische Norm EN 301 549 V2.1.2 beziehungsweise die darin referenzierten WCAG 2.1. Die EU-Richtlinie 2016/2102 fordert die Umsetzung der Barrierefreiheit gemäß dieser Norm und enthält beispielsweise auch die Verpflichtung zu einer Barrierefreiheitserklärung auf jeder Internetpräsentation. In Deutschland ergänzt die BITV 2.0 zusätzlich eine Handvoll darüber hinausgehender Anforderungen, etwa Erläuterungen in Leichter Sprache und Gebärdensprache auf der Startseite eines Webangebots. Dies sind überwiegend Anforderungen, die ohne spezialisierte Experten nur schwer zu überblicken und umzusetzen sind.

Hier kann die am 26. März 2020 in Kraft getretene Verwaltungsvorschrift zur öffentlichen Auftragsvergabe zumindest in Bayern ein Stück weit Erleichterung bringen: Sie hebt die Schwellenwerte für freihändige Äufträge und lockert die Regeln etwa zum Einholen mehrerer Angebote oder zur Vergabe ohne Teilnahmewettbewerb.

Neue Vergabe­richt­li­nien in Bayern

Die wichtigsten Veränderungen für nicht-Corona-bezogene Beschaffungen lauten:

  • Direktkauf ohne Vergabeverfahren ist nun bis zu einem Volumen von € 5.000 netto möglich (zuvor € 1.000).
  • Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb sind ohne weitere Begründung bis € 100.000 netto möglich (zuvor € 50.000). Es müssen 3 Angebote zum Vergleich vorliegen.
  • Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb sind auch bis zu einem Volumen von € 213.999 möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Situationsabhängig müssen 1-3 Angebote vorliegen.

Der genaue Wortlaut der Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung über die Verwaltungsvorschrift zum öffentlichen Auftragswesen (VVöA) ist auf der Website der Bayerischen Staatskanzlei nachzulesen.

Wie wir helfen können

Wir sind zwar keine Juristinnen und Juristen und tun uns deshalb schwer, Sie bei der genauen Interpretation der neuen Vergabebedingungen zu unterstützen. Was wir jedoch für Sie tun können, wenn Sie vor der Herausforderung stehen, Ihre Website bis September barrierefrei gestalten zu müssen:

Barrierefrei bis September?

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