Rückzug von Instagram, Facebook und Twitter / X

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von Sophie Brunneram

Spätestens seit X, ehemals Twitter 2022 von Tech-Milliardär Elon Musk übernommen wurde, diskutieren wir im Tollwerk regelmäßig und durchaus kontrovers, auf welchen sozialen Plattformen wir vertreten sein wollen.

Soziale Medien sind ein zentraler Baustein unserer Öffentlichkeitsarbeit. Wir können dort uns und unsere Arbeit präsentieren, uns mit Projektpartner*innen, Kundschaft und Gleichgesinnten verbinden und über aktuelle Entwicklungen in unseren Fachkreisen informiert bleiben. Die Grundidee hinter den sozialen Medien unterstützen wir voll und ganz. In der Vergangenheit trugen die Plattformen immer wieder entschieden zu Demokratisierungsprozessen und Gleichberechtigkeitsbewegungen wie dem Arabischen Frühling, #MeToo und #BlackLivesMatter bei.

Umso besorgter beobachten wir die Entwicklung einiger der großen Plattformen in den letzten Jahren. Nach den Ankündigungen des Meta-Konzerns, Faktenchecks abzuschaffen sowie interne Programme für Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion nicht mehr weiterführen zu wollen, kamen wir erneut im Arbeitskreis Präsentation & Marketing zu dem Thema zusammen. Dabei mussten wir feststellen, dass die Werte, die wir als Unternehmen vertreten, nicht mehr mit denen der Plattformen vereinbar sind. Als Organisation, deren Kernthema die Barrierefreiheit ist, steht es uns diametral entgegen, Bemühungen für mehr Inklusion und Gleichberechtigung als “woke” oder politischen Zeitgeist zu diffamieren.

Auch wenn wir einerseits die Plattformen nicht den Nazis, Trolls, Verschwörungs­theoretiker*innen und Anti-Demokrat*innen überlassen wollen, können und wollen wir uns andererseits in diesen digitalen Räumen nicht mehr aufhalten. Wo Hassrede unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit erlaubt wird und Menschen aufgrund ihrer Sexualität beleidigt werden dürfen, wollen wir nicht mehr sein. Daher hat der Arbeitskreis Präsentation & Marketing in Abstimmung mit dem gesamten Team beschlossen, dass wir uns und unseren Werten treu bleiben und die Plattformen X, ehemals Twitter sowie alle Meta-Plattformen (Facebook, Instagram) ab sofort nicht mehr bespielen werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir sind ab sofort auf den genannten Plattformen nicht mehr aktiv und löschen darüber hinaus alle bisherigen Beiträge. Unsere Konten behalten wir jedoch bei, damit unsere Namen nicht anderweitig missbraucht werden können.

Ihr findet und erreicht uns zukünftig und weiterhin über die folgenden Kanäle:

Tollwerk

Accessibility Club

CoderDojo Nürnberg

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Material

Sonstige

  • stillgelegt: Open Device Lab Nürnberg auf Facebook
  • stillgelegt: tollwerkstatt auf Facebook

Wenn ihr den Weg auf unsere Blog-Seite gefunden habt, dann schreibt doch gern eure Kommentare direkt unter unsere Artikel anstatt in die sozialen Medien. Nur hier bleiben sie permanent verfügbar und unter unserer Kontrolle. Und hier antworten wir natürlich am allerliebsten 😉.

Was sagt das Team dazu?

Wie bei den meisten Themen im Tollwerk machen sich viele Teammitglieder Gedanken zu den aktuellen Entwicklungen der Social Media-Plattformen und unserem Umgang damit. Daher möchten wir die vielfältigen Stimmen zu Wort kommen lassen:


Werte statt Reichweite

Die Frage, ob, warum und wie wir als Organisation — und ich als Privatperson — in sozialen Medien präsent sind, hat mich stets stark beschäftigt. Ich war Social-Media-Spätzünder — hauptsächlich, weil mir bis zur Gründung unseres Open Device Labs im Frühjahr 2013 jedes Thema fehlte, das ich als so wertvoll empfunden hätte, dass es sich gelohnt hätte, es in den Äther zu schicken. Auch nach meinem Social-Media-Debüt blieb ich im Herzen im IndieWeb zuhause, also auf eigenem Grund statt auf dem öffentlichen Spielplatz, den andere gnädig bereitstellen. Dennoch muss ich zugeben, dass sich die diversen Plattformen — für mich allen voran Twitter und Facebook — in den folgenden Jahren als unverzichtbar erwiesen haben, um gerade unsere Veranstaltungen und Initiativen zu etablieren. Ohne sie hätte das CoderDojo vermutlich nicht so eingeschlagen, der Accessibility Club wäre vielleicht nie entstanden, und meine Konferenzen in Nürnberg und Island hätten weniger Anklang gefunden.

Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Die ehemals so wichtigen Plattformen sind zu Orten der Empörungskultur und Hassrede verkommen, wenn sie denn überhaupt noch (für uns und mich) relevante Interaktion bieten. Unkontrollierbare Narzissten — ohne jede Notwendigkeit zur Entgenderung — übertreffen sich täglich darin, diese Orte noch ein Stück ekliger und unerträglicher zu machen. Ihr Größenwahn katapultiert uns weit in die (ganz sicher nicht bessere) Vergangenheit zurück. Noch quälender ist nur die Frage, was passieren wird und wie viel schlimmer es noch werden könnte, wenn man dem allen einfach den Rücken kehrt. Ist es verantwortungslos, zu gehen?

Selbst innerhalb unserer eigenen Bubble ist es zunehmend unerträglich. Es wird sich hemmungslos aufgeregt, provoziert, simplifiziert, diskreditiert, konspiriert und Erde verbrannt. Es macht mich wahnsinnig müde. Ich fühle mich fast gezwungen, meinen Optimismus aufzugeben, ebenso grantig zu werden und mehr zu zerstören als zu gestalten. Allein die tägliche Stellungnahme zu irgendwas, das sich wieder irgendwer ausgedacht und irgendwem zum Vorwurf gemacht hat, kostet so viel Energie, dass mir die Lust vergeht. Ich wünsche mir den konstruktiven Dialog zurück. Die Hoffnung, ihn auf den einst so nützlichen Plattformen zu finden, habe ich allerdings verloren.

Mit dem geordneten Rückzug von einigen dieser Plattformen kappen wir zwar ein paar einst wertvolle Taue, doch ich bin überzeugt, dass wir so eine Reise ins Bessere antreten — um unnötigen Ballast erleichtert. Ich hoffe, dass die Besten mit uns auf die Reise gehen.

Experte für Barrierefreiheit / CAO, Geschäftsführer, Mitglied der Geschäftsleitung

Dipl.-Ing. Joschi Kuphal, CPWA · ADS

Gendern ist nur die Spitze des Eisbergs

Ich halte unseren Rückzug von X ehemals Twitter und den Meta-Plattformen für berechtigt. Wir stehen als Unternehmen ausdrücklich für Inklusion und ein aufgeschlossenes, angstfreies und konstruktives Miteinander. Ich glaube auch, dass diese Werte bei uns nicht bloße Worthülsen sind, sondern alle im Team dazu stehen. Man sieht es jeden Tag an unserem Miteinander, hier im Büro.

Ich unterschreibe alles, was Joschi sagt. Die jüngste Vergangenheit offenbart zudem eine ganz neue Dimension des Problems: Die aktive Unterminierung demokratischer Prozesse und der Angriff auf unsere freiheitliche Grundordnung als Geschäftsziel. Im Falle von Herrn Musk ist das schon lange ganz unverblümt sichtbar.

Die Macht dazu erhalten diese Plattformen durch die große Anzahl ihrer Nutzenden. Auch, wenn es nur der vielbesagte Tropfen auf den heißen Stein ist: Eine Abkehr ist die naheliegendste und einfachste Maßnahme, die wir als Unternehmen und Einzelpersonen treffen können.

Leitender Web-Entwickler

Klaus Fiedler, B.Sc.

Verantwortung und Respekt

In den Medien lese ich darüber, wie sich die Abwanderung genervter Nutzender auf X und Meta auswirken könnte. Es wird spekuliert, was ein Exodus für wen in welcher Ausprägung bedeuten würde, ob ein flächendeckender Boykott realistisch ist oder ob der wirtschaftliche Nutzen viele Kreative und Organisationen davon abhalten wird.

Ich sehe eine grundsätzliche Verantwortung bei uns allen — unabhängig von einer messbaren Reichweite — unser Handeln so bewusst und verantwortungsvoll wie möglich zu gestalten. Ich unterstütze unsere Entscheidung, anlässlich der unerträglichen Entwicklungen die Plattformen zu verlassen. Gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtiger denn je, eine klare Haltung gegen Hass, Ausgrenzung und Intoleranz zu zeigen. Respekt ist und bleibt für mich ein unverzichtbarer Grundpfeiler von Kommunikation. Ich möchte mich daher in Räumen bewegen, in denen ein respektvoller und konstruktiver Austausch stattfindet.

Expertin für Barrierefreiheit

Sonja Weckenmann, WAS

Kein Schwarz-Weiß

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen auf den Plattformen sozialer Medien haben wir als Organisation entschieden, uns von X ehemals Twitter, Instagram und Facebook zurückzuziehen. Diese Entscheidung trage ich mit, denn für uns als kleines Team ist es eine Herausforderung, Zeit sinnvoll in soziale Medien zu investieren und gleichzeitig auf alle Entwicklungen unmittelbar zu reagieren. Wir bleiben jedoch auf LinkedIn aktiv, da hier unsere größte Community ist und wir unseren Schwerpunkt sehen. Auch dort werden wir die Entwicklungen weiterhin kritisch beobachten.

Privat nutze ich soziale Medien bisher weiterhin und finde die Entscheidung alles andere als einfach. Eine Frage, die mich beschäftigt, ist: Überlassen wir diese Plattformen damit nicht denjenigen, die Hass und Desinformation verbreiten? Gleichzeitig sind soziale Medien so viel mehr als ihre Schattenseiten.

Von den frühen Tagen auf MySpace, wo man sich unverfänglich vernetzen und mit Menschen weltweit austauschen konnte, bis heute bieten soziale Medien einzigartige Möglichkeiten. Sie sind Bühne für Randthemen, für Kunst und Wissen, ein Raum für Austausch und Inspiration. Für manche Menschen — insbesondere chronisch Kranke — können sie der einzige Weg sein, soziale Kontakte zu pflegen oder an der Welt teilzuhaben. Manche fühlen sich mit einem persönlichen Thema weniger alleine oder lernen etwas über ich selbst. Manchmal ermöglichen sie berufliche Veränderungen oder — wie im Fall des Arabischen Frühlings — sogar gesellschaftliche Bewegungen.

Deshalb sehe ich diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen und Besorgnis. Ich wünsche mir Alternativen, die respektvollen Austausch und kritischen Diskurs fördern und gleichzeitig Hass und Desinformation keinen Raum geben. Vielleicht gibt es Menschen, die die Plattform der Zukunft schaffen — einen Ort, den ich mir wie einen ‘kind space’ vorstelle. Denn trotz aller Kritik habe ich in sozialen Medien auch oft Freude, Aha-Momente und inspirierenden Austausch erlebt.

Social Media ist nicht einfach schwarz-weiß. Es braucht neue Ansätze und Räume, in denen das Gute im Vordergrund steht.

Organisationsentwicklung, barrierefreies UX & UI Design

Angela Burchard

Ohne Werte kein Mehrwert

Was es für uns als Team bedeutet, dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Privat fällt mir die Entscheidung schwerer, als ich es mir wünschen würde. Der Kontakt zu Freund*innen, das Scrollen durch Reisefotos, das Teilen eigener Erlebnisse und das Finden neuer Ideen für Rezepte sind an sich wirklich toll — aber ich habe einfach keine Lust, auf einer Plattform unterwegs zu sein, auf der der gegenseitige Respekt nicht gewahrt wird. Für mich heißt das unter anderem, dass unangemessene Inhalte wie Hassbotschaften und abwertende Kommentare konsequent geahndet werden sollten. Eine Plattform, die solchen Dingen Raum bietet, mag noch so viele „Vorteile“ haben. Ohne diese Werte verliert sie für mich ihren Reiz.

Werkstudent

Jakob Bollenz