Web Sustainability Guidelines 1.0

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von Sonja Weckenmannam

Im April diesen Jahres veröffentlichte eine Community Group des W3C die Web Sustainability Guidelines (WSG) 1.0. Sie definiert Empfehlungen und Anforderungen, die bei der Umsetzung von nachhaltigem Webdesign unterstützen. Kurz nach einem virtuellen Treffen im Kontext unserer Gemeinwohl-Aktivitäten erfuhr ich durch Zufall von dieser neuen Spezifikation. Nun gehören W3C-Standards für mich als Accessibility-Auditorin zu meinem täglichen Handwerkszeug – nicht zuletzt die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), welche die Web Sustainability Guidelines deutlich inspirierten. Rasch war klar, ich wollte mehr darüber erfahren.

Ein offenes Web zum Wohle aller

Die Arbeit des W3C basiert auf der Idee, das Web so zu gestalten, dass es für alle zugänglich ist: sicher, offen, interoperabel und zum Wohle aller Nutzenden. Klug eingesetzt hat das Internet ein großes Potenzial für die Gesellschaft und die Umwelt. Wir sehen jedoch auch, dass Menschen die Technologie verwenden, um die Privatsphäre zu verletzen, unethisch zu handeln oder gar die persönlichen Freiheiten und das Wohl der Gesellschaft zu untergraben. Riesige Rechenzentren schicken Daten hin und her und verbrauchen Unmengen an Energie.

If the Internet were a country it would be one of the top five polluters.

— David Pomerantz, Greenpeace

Ganz konkret verursacht das Internet derzeit etwa 2-5 % der weltweiten Kohlenstoffemissionen. Seit dem Pariser Abkommen zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 °C ist die durchschnittliche Webseitengröße auf dem Desktop um über 70 % und auf dem Handy um 140 % gestiegen. Die Zahl der Besucherinnen zwischen 2015 und 2021 stieg um 60 %, während der Datenverkehr um 440 % zunahm.

Nachhaltiges Webdesign

Die Umweltauswirkung digitaler Technologien ist zum großen Teil auf den Stromverbrauch zurückzuführen. Strom wird häufig aus fossilen Brennstoffen gewonnen, deren Verbrennung Kohlendioxid (CO₂) erzeugt und gemeinhin als Kohlenstoffemission bezeichnet wird. Die Senkung von Kohlenstoffemissionen ist im Kontext von digitaler Nachhaltigkeit jedoch nur ein Aspekt. Faktoren wie Wasserverbrauch, die Belastung durch den massiven Anstieg von Elektroschrott, die Gewinnung von Wertstoffen und nicht zuletzt die chemischen Schadstoffe, die bei der Herstellung von elektronischen Geräten entstehen, spielen ebenfalls eine Rolle.

Die Web Sustainability Guidelines zielen darauf ab, Unternehmen mit bewährten Verfahren bei der Reduzierung der Umweltbelastung zu unterstützen. Der Mensch und der Planet stehen dabei an erster Stelle. Die Richtlinien beruhen auf messbaren, evidenzbasierten Forschungsergebnissen und folgen dem Sustainable Web Manifesto. Das Manifest basiert auf den Prinzipien: sauber, effizient, offen, ehrlich, regenerativ und widerstandsfähig. Das bedeutet, die angebotenen Dienstleistungen

  1. verwenden erneuerbare Energien (sauber),
  2. sind ressourcenschonend (effizient),
  3. sind zugänglich und ermöglichen den offenen Informationsaustausch sowie die Kontrolle über die eigenen Daten (offen),
  4. führen Nutzende aufgrund von Design oder Inhalt nicht in die Irre und schaden ihnen nicht (ehrlich),
  5. unterstützen eine Wirtschaft zum Wohle der Menschen und des Planeten (regenerativ) und
  6. funktionieren da, wo Menschen sie am meisten brauchen (widerstandsfähig).

Das Manifest versteht sich als eine gemeinsame, öffentliche Aufforderung, ein nachhaltiges Internet zu schaffen. Alle, die es unterzeichnen, verpflichten sich dazu, den Prinzipien zu folgen.

Blick in eine Baumkrone gegen den blauen Himmel, die Blätter des Baums sind jung und hellgrün
Ein grünes Web

Ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig

Quelle: Sonja Weckenmann, , Alle Rechte vorbehalten

UX-Design, Web Development, Infrastruktur und Strategie

Wenn Sie die WCAG bereits kennen, werden Sie sich schnell mit dem Aufbau der WSG vertraut machen. Sie finden auch hier eine Unterteilung in Guidelines, untergeordnete Erfolgskriterien und einen Abschnitt zu Konformität und Konformitätsbedingungen. Mit 93 Guidelines und insbesondere 232 Erfolgskriterien sind die WSG jedoch kleinteiliger strukturiert als die WCAG. Die Guidelines selbst, eingeteilt in 4 Bereiche (User Experience Design, Web-Entwicklung, Hosting, Infrastruktur und Systeme, Geschäftsstrategie und Produktmanagement) sind recht aussagekräftig formuliert und bieten zusammen mit den kurzen zusammenfassenden Abschnitten zu Beginn jeder Guideline gute Orientierungspunkte.

Neben den WSG selbst gibt es ein separates einführendes Dokument, die Kurzdarstellung WSG 1.0 at a Glance sowie das Dokument Sustainable Tooling And Reporting (STAR) 1.0, welches eine Test-Methodik und vor allem aber eine umfangreiche Sammlung von Techniken bereithält. Die Techniken leiten Umsetzende und prüfende Personen bei der Erfüllung der WSG-Erfolgskriterien und -Richtlinien an (zum Beispiel WD05-1: Conform to WCAG as a Baseline Level of Acceptable Accessibility oder WD04-1: Eliminate Redundant Code Through Coverage or Tree Shaking).

Der jeweiligen Liste von Erfolgskriterien folgt eine Einstufung nach „Auswirkungen“ und „Aufwand“. Der Abschnitt „Nutzen“ vermittelt den Lesenden, warum die Anforderung auf unterschiedlichen Ebenen wichtig ist. Außerdem wird die Richtlinie in den Kontext eines anderen Standards gesetzt, der Richtlinie für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten (GRI). Zuletzt folgen Beispiele, Ressourcen und Schlagworte.

Im Gegensatz zu den WCAG handelt es sich bei den WSG um einen "Draft Community Group Report" und nicht um eine offizielle "W3C Recommendation".

Progress over Perfection

Der vollständige Community Report, genauer gesagt die schiere Anzahl von Erfolgskriterien, kann auf den ersten Blick recht überwältigend und einschüchternd wirken. Auch wenn die Erfolgskriterien (wie bei den WCAG auch) die prüfbaren Aussagen darstellen, hilft es, sich erst einmal auf die Guidelines zu konzentrieren.

Das einführende Dokument empfiehlt, sich einzelne Aspekte herauszupicken. Wo können Sie etwas bewirken? Was spricht Sie an? Begreifen Sie die Umsetzung als Prozess des kontinuierlichen Lernens und der Verbesserungen. Weder gilt es, eine bestimmte Reihenfolge einzuhalten, noch alle Kriterien auf einmal zu lesen oder zu übernehmen. Jede einzelne Guideline bringt einen messbaren Nutzen. Konformität wird an der Umsetzung jeder einzelnen Richtlinie und den Erfolgskriterien auf der gesamten Website oder dem gesamten Produkt gemessen.

Guidelines

Die folgende Auflistung der Guidelines soll dazu einladen, ganz im Sinne der Autorinnen und Autoren zu stöbern und sich mit den Anforderungen vertraut zu machen.

User-Experience Design

Design-Entscheidungen bestimmen nicht nur die visuelle Ästhetik einer Website oder Anwendung, sondern haben auch Einfluss auf die Nutzerfreundlichkeit eines Produkts. Je besser Sie die Bedürfnisse von Nutzenden kennen, desto besser können Sie eine effiziente Nutzungsweise ermöglichen. Eine gute Informationsarchitektur, verständlich geschriebene Inhalte, nicht zuletzt Designmuster, die an Konventionen orientiert sind, helfen Nutzenden, Inhalte schnell und zufriedenstellend zu finden und somit weniger Energie zu verbrauchen. Ein bewusster Umgang mit Assets wie Videos und Bilder wirkt sich außerdem ressourcenschonend aus.

Web-Entwicklung

Web-Entwickelnde realisieren in der Regel Ideen und Konzepte aus dem Design. Sie können Einfluss nehmen, wie der Code im Frontend und im Backend umgesetzt wird. Außerdem können Sie Code etwa im Hinblick auf Zugänglichkeit, Leistung und Sicherheit optimieren, mit technischen Features sowie einem sinnvollen Satz an Werkzeugen die Nachhaltigkeit eines Produkts unterstützen. Planen Sie bewusst, ob Sie etwa ein sperriges Framework, einen Static Site Generator (SSG) oder ein Content Management System (CMS) benötigen. Auch hier gilt: Eine Website mit schlankem Code verbraucht weniger Energie.

Hosting, Infrastruktur und Systeme

DevOps (Developer Operations) und Hosting-Anbieter sind dafür zuständig, dass die Infrastruktur für ein Produkt oder einen Dienst den gegebenen Anforderungen entspricht. Des Weiteren kann die Entscheidung, wo die Inhalte angesiedelt werden, und wie die Verwaltung ihrer Interaktion mit den Browsern geschieht, Vorteile im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit bringen.

Geschäftsstrategie und Produkt-Management

Alle, die eine Website oder Anwendung besitzen oder betreiben, treffen strategische Entscheidungen, definieren Ziele oder kommunizieren Erfolge oder Entwicklungen, die nachhaltige Auswirkungen haben können. Sie können die Art und Weise beeinflussen, wie ein Produkt oder eine Dienstleistung entwickelt wird. Außerdem können sie Veränderungen innerhalb eines Unternehmens anstoßen und damit den Schutz des Klimas fördern, soziale Aspekte berücksichtigen und nachhaltige Geschäftsmodelle umsetzen.

Fazit

Die junge Spezifikation basiert auf den Prinzipien Environment, Social, Governance (ESG). Neben dem Schutz des Klimas berücksichtigt sie soziale Aspekte wie etwa Barrierefreiheit, Datenschutz und Sicherheit sowie nachhaltige Geschäftsmodelle, die einen gerechten, gemeinsamen Wohlstand zum Ziel haben.

Im Sinne dieser ESG-Prinzipien sollte es uns allen ein Anliegen sein, Schritt für Schritt ein bisschen besser zu werden und unser Handeln und unsere Entwicklungen auf den Prüfstand zu stellen.

Ressourcen