That's Not My Name

Veröffentlicht als Meinung
von Angela Burchardam

Im Laufe des eigenen Arbeitslebens hat man ja mitunter alle möglichen Titel und Bezeichnungen inne für die Tätigkeit, die man ausübt. Im Idealfall sagt diese grob etwas über das Aufgabengebiet aus, das man bespielt. Oftmals ist das jedoch nicht der Fall. Hat doch jeder schon einmal verwunderliche Titel wie “Country Manager” oder “Chief Evangelist” gelesen, ohne auf Anhieb sagen zu können, was der Tätigkeitsinhalt wäre. Vor allem bei Stellenausschreibungen frage ich mich immer wieder, ob die Ausschreibenden denn selbst wissen, was sie bedeuten?

Zwei Dinge kommen hier besonders zum Tragen: Zum einen die Anglisierung von Berufstiteln, mit der ich insofern kein Problem habe, als dass in Zeiten überregionaler / internationaler Zusammenarbeit ein Bedarf gemeinsamer Begrifflichkeiten besteht. Ist die Bezeichnung allerdings nichts weiter als eine leere Worthülse, die sich nach viel anhört, aber unter der sich niemand etwas vorstellen kann, wird sie unbrauchbar und kann im schlimmsten Fall gar schädlich wirken (besonders bei der Rekrutierung von Personal). Was zu einem anderen Problem führt: Dem künstlichen Aufwerten von Bezeichnungen, wo eine Tätigkeit ohne oder mit sehr geringer Verantwortung durch das Hinzufügen von Begriffen wie „-Manager“ plötzlich eine Kompetenz oder Aufgabe suggeriert, die die Rolle oder Tätigkeit gar nicht beinhaltet. Oder gar zu einem Titel-Balztanz ausartet, bei dem man sich dann fragt, wieviele Leiter es benötigt und wenn so viele leiten, wer macht denn dann noch den Rest? :D

Was hat das mit mir zu tun?

Wer sich gerade fragt: Weshalb schreibt sie über dieses Thema, an dem sich bereits andere abgearbeitet haben?

Nun, weil mich die Thematik seit ein paar Tagen betrifft. Zu Beginn dieser Woche hat sich für mich beruflich einiges geändert. Aus der Selbständigkeit als Gestalterin mit klarer Bezeichnung habe ich mich hier in das Team von Tollwerk begeben, um eine Rolle auszufüllen, die es bisher nicht gab. Hergeführt hat mich meine Neugier. Auf der Website erfuhr ich, wie hier in ausführlicher Selbstreflexion eine Form der Zusammenarbeit abseits klassischer Hierarchien entstand. Das hat mein Interesse geweckt und ich habe mich spontan beworben (mit dem Hinweis, ich wäre offen für Vorschläge). So bin ich nun hier. Nicht als die Kommunikationsdesignerin (die ich bin), sondern als koordinierende “Wingwoman” von Joschi. Eine Rolle, die es vorher in der Organisation so nicht gab, die ich in dieser Form noch nicht innehatte und die sich inhaltlich auch noch weiter entwickeln wird. Zudem begreife ich mich selbst als gleichwertigen Teil eines Teams.

So weit, so klar. Und gleichzeitig diskutieren wir seit Tagen darüber, wie meine Rolle eigentlich heißen soll.

In einem klassisch-hierarchischen Arbeitsumfeld würde sich das vermutlich irgendwo um den “Executive Assistant” bewegen. Sowohl die Arbeitsstruktur, als auch die interne Richtlinie, die keine anglisierten Titel möchte, macht diese Bezeichnung allerdings ungeeignet. Auch „Persönliche Assistentin“ war auf dem Tableau, aber da sich dieser Titel inhaltlich in den Aufgaben und Verantwortlichkeiten deutlich unterscheidet, ist auch er aus dem Rennen. Selbst eine Unterredung mit ChatGPT brachte als besten Vorschlag nur „Persönliche Koordinatorin & Projektleiterin“ hervor, was sich in der Darstellung ebenfalls wieder hierarchisch liest.

Wo führt das alles hin?

Es stellt sich hier die Frage, ob es sinnvoll und angebracht ist, in einer kollegial-selbst verwalteten Struktur Rollenbezeichnungen aus klassisch-hierarchischen Arbeitsstrukturen zu übernehmen? Persönlich beantworte ich das mit einem klaren „Nein“. Es ist in meiner Betrachtung (mindestens) so wenig passend, neue Arbeitsformen mit alten Titeln zu versehen, wie alte Konzepte mit neuen, schmückenden Namen zu dekorieren. Beides wird dem jeweiligen Inhalt nicht gerecht. Darüber hinaus kann man auch noch weiter gehen und darüber nachdenken, dass viele Bezeichnungen stark männlich geprägt sind, was in einer gleichberechtigten Arbeitsstruktur ebenfalls unpassend erscheint.

Humorige Titel wie “Master of Desaster” oder „Rückenfreihalterin“ mögen intern und in kleinem Kreis ganz nett sein, sind jedoch in ihrer Aussagekraft nach außen nichtssagend. Vor allem im Kontakt mit Auftraggebenden ist das wenig hilfreich.

So ist die Frage an uns selbst — und sehr gerne auch hinaus an euch:

„Wie soll dat Kind denn nu heißen?“

Das ist der Aufruf von mir an euch alle, die sich mit diesen Themen befassen und dafür interessieren, gerne euren Gedanken, Erfahrungen, Wünsche und Ideen mit uns zu teilen (zum Beispiel als Kommentar hier oder über unsere Profile in den Sozialen Medien). Denn wir alle, die wir Veränderung aktiv leben wollen, können und sollten sie gemeinsam gestalten.

In diesem Sinne freue ich mich auf fröhlichen Austausch!

Ergänzung vom 14.4.2023: Dieser Beitrag hat nicht die Erwartung eines konkreten Ergebnisses, sondern soll vielmehr als Einladung zu einer kreativen Gedankenreise verstanden werden, auf der man sich von allem Bekannten löst und einmal ganz frei und spielerisch der Thematik nähert. Fernab von Hierarchien und gängigen Bezeichnungen. Also auf ein Neues.